Wurzeln
Mal eine toubob -Meinung zu Ohren gekommen, die nicht das genaue Gegenteil ausgedrückt hätte. Und es kam ihm vieles zu Ohren, denn im Frühling und Sommer des Jahres 1792 teilte der Masser seinen Einspänner oft mit den mächtigsten und reichsten Massers im ganzen Staate: Politikern, Juristen und Kaufleuten. Wenn keine ganz dringende Angelegenheit den Vorrang hatte, kreiste ihr Gespräch unweigerlich um die Probleme, die die Schwarzen verursachten.
Einer sagte dann bestimmt, jeder, der mit Sklaven gut zurechtkommen wolle, müsse sich vor allem klarmachen, daß ihnen ihre afrikanische Vergangenheit eingefleischt sei; das Urwalddasein unter Tieren habe bei ihnen ein natürliches Erbe von Stumpfsinn, Faulheit und Unreinlichkeit hinterlassen, und die Christenpflicht aller, die von Gott mit Überlegenheit gesegnet seien, gebiete, solchen Kreaturen einigen Sinn für Disziplin, Moral und redliche Arbeit beizubringen – vor allem natürlich durch das eigene Vorbild, aber auch mittels Gesetz und Strafen, wo nötig, indessen den guten Schwarzen, die es verdienten, Ermutigung und kleine Belohnungen zuteil werden sollten.
Jede Nachgiebigkeit seitens der Weißen, so ging das Gespräch dann stets weiter, würde schlicht zu Unehrlichkeit, Verlogenheit und List herausfordern, die nun einmal in der Natur der niederen Art lägen, und das Geschrei der Antisklaverei-Gesellschaften und ihresgleichen käme nur solchen Leuten gelegen, besonders im Norden, die selber nie Sklaven besessen oder versucht hätten, eine Pflanzung mit ihnen zu führen. Wer es nie erlebt hätte, könnte sich schwerlich vorstellen, wie die Geduld eines Menschen, ja Herz, Geist und Seele von der täglichen Plackerei mit den Sklaven bis aufs äußerste strapaziert werden könnten.
Kunta hatte den immer gleichen, ungeheuerlichen Blödsinn schon so oft zu hören bekommen, daß der wie Wasser an ihm abglitt und er dem kaum noch irgendwelche Aufmerksamkeit schenkte. Aber manchmal, wenn er so stumm kutschierte, konnte er doch nicht umhin, sich plötzlich zu fragen, warum seine Landsleute nicht einfach jeden toubob , der den Fuß auf afrikanischen Boden setzte, umbrachten. Er fand nie eine annehmbare Antwort darauf.
Kapitel 71
Es war um die Mittagsstunde eines schwülen Augusttages, als Tante Sukey, so rasch sie konnte, zu dem Fiedler gewatschelt kam, der gerade bei seinen Tomatenstauden war, und ihm keuchend mitteilte, sie ängstige sich zu Tode wegen des alten Gärtners. Als er nicht zum Frühstück in ihrer Hütte erschien, hätte sie sich noch nichts weiter dabei gedacht, schnaufte sie, aber als er auch zum Mittagessen nicht erschien, sei sie unruhig geworden. Sie sei an seine Tür gegangen, habe geklopft und aus Leibeskräften gerufen. Da keine Antwort kam, wollte sie in ihrer Angst doch lieber erst den Fiedler fragen, ob er ihn gesehen hätte. Der Fiedler verneinte.
Am Abend desselben Tages sagte er zu Kunta: »Irgendwie wußte ich’s schon, bevor ich reinging«, und Kunta meinte, er hätte sich das unheimliche Gefühl gar nicht erklären können, das er selbst verspürt habe, als er den Masser am Nachmittag nach Hause fuhr. »Er lag einfach da im Bett«, berichtete der Fiedler, »ganz friedlich, mit ’nem kleinen Lächeln auf dem Gesicht. Wie wenn er schliefe. Aber Tante Sukey meinte, er wär schon wieder im Himmel aufgewacht.« Der Fiedler hatte die traurige Botschaft dann den anderen, die draußen auf den Feldern arbeiteten, gebracht, und der Vormann Cato war mit ihm zurückgegangen, um die Leiche zu waschen und auf ein Kühlbrett zu legen. Danach hatten sie den schweißfleckigen Strohhut des alten Gärtners vor seine Tür gehängt, nach althergebrachter Sitte zum Zeichen der Trauer, bevor die heimkehrenden Feldarbeiter sich vor der Hütte versammelten und dem Toten die letzte Ehre erwiesen, und dann war Cato mit einem der anderen weggegangen, um das Grab auszuheben.
Kunta kehrte doppelt betrübt in seine Hütte zurück – nicht nur, weil der Gärtner nun tot war, sondern weil er selbst ihn seit Kizzys Geburt nicht so oft besucht hatte, wie er wohl gekonnt hätte. Dauernd war es ihm so vorgekommen, als hätte er einfach keine Zeit mehr, und nun war es zu spät. Zu Hause fand er Bell in Tränen, wie er erwartet hatte, doch war Kunta überrascht über den Grund, den sie ihm dafür nannte.
»Für mich war er immer wie der Daddy, den ich ja nie wirklich gesehn hab«, schluchzte sie. »Ich weiß nicht, warum ich ihm das nie irgendwie zu verstehn gegeben
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