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Wurzeln

Wurzeln

Titel: Wurzeln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Haley
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sie sich bloß krank, damit dein Masser dauernd nach ihr sehn muß. Du solltest sie mal erleben, wenn ihr beide weg seid, dann läßt sie ihre Nörgelei und ihren Ärger an uns Niggern aus, wie wenn wir Maulesel wären, und seine Medizin rührt sie sowieso nie an!« Ferner gab es eine Patientin, die den Masser immer auf die Vorderveranda begleitete, wenn er sich verabschiedete, und dabei hing sie an seinem Arm, als fürchte sie, jeden Moment hinzusinken, sah schmachtend zu ihm auf und fächelte sich mit matter Hand Luft zu. Aber gerade diese beiden Damen behandelte der Masser besonders steif und korrekt, und Kunta wußte, daß er seine Visiten dort weitaus rascher absolvierte als bei allen übrigen Patienten.
    So vergingen die Monate; Missy Anne wurde etwa zweimal wöchentlich zu Masser Waller gebracht, und bei jedem dieser Besuche spielte sie stundenlang mit Kizzy. Da Kunta dagegen machtlos war, suchte er wenigstens zu vermeiden, daß er die Kinder zusammen sah, aber sie schienen überall gleichzeitig zu sein, und wohin er sich auch wandte – er konnte dem Anblick nicht entrinnen, wie die Nichte des Masser sein Töchterchen tätschelte, streichelte und küßte. Es erfüllte ihn mit Widerwillen und rief ihm ein uraltes afrikanisches Sprichwort seiner Vorväter in Erinnerung: »Am Ende frißt die Katze doch die Maus, mit der sie spielt.«
    Einzig die Tage und Nächte zwischen Missy Annes Besuchen machten es für Kunta erträglich. Der Sommer kam, in dem Kizzy zu krabbeln begann, und Bell und Kunta verbrachten die Abende in ihrer Hütte und sahen mit Entzücken zu, wie Kizzy auf dem Boden herumrutschte, das kleine Hinterteil, das noch vorsorglich gewindelt war, steil in die Höhe gereckt. Aber dann kreuzte Missy Anne wieder auf, und alles begann von vorn – die Größere umkreiste die Kleine mit dem Lockruf: »Los, Kizzy, komm«, und Kizzy krabbelte aus Leibeskräften, so rasch sie konnte, gurgelnd vor Vergnügen am Spiel und begeistert über die Aufmerksamkeit, die man ihr widmete. Auch Bell strahlte vor Freude, besonders wenn Kunta nicht dabei war, weil er den Masser kutschierte; aber sie wußte im voraus, daß er nur zu erfahren brauchte, Missy Anne sei dagewesen, um sogleich wieder sein steinernes Gesicht aufzusetzen, die Lippen zusammenzupressen und für den Rest des Abends nicht ansprechbar zu sein, was Bell im höchsten Grade aufreizend fand. Weit beunruhigender aber war die Vorstellung, was passieren könnte, wenn Kunta dem Masser einmal auch nur andeutungsweise seine Gefühle entdecken sollte. Darum hatte Bell immer etwas Angst, wenn sie ihn so sah.
    Also suchte sie ihn zu überzeugen, daß diese Kinderfreundschaft niemandem schaden würde, wenn er sich nur endlich überwinden könnte, sie einfach hinzunehmen. Sie erzählte ihm, wie oft weiße Mädchen ihren schwarzen Spielgefährtinnen lebenslang in Anhänglichkeit und echter Treue zugetan blieben. »Lang bevor du hier Kutscher geworden bist«, sagte sie, »gab’s hier in der Gegend eine weiße Missis, die im Kindbett starb – ganz wie bei unserm Masser –, nur blieb diesmal das Baby am Leben, ein Mädchen, und kriegte ’ne Amme, ’ne Niggerfrau, die grade selber eine Tochter geboren hatte. So waren die beiden richtig wie Schwestern aufgewachsen, bis der Masser wieder heiratete. Aber die neue Missis war mächtig dagegen, daß die Mädchen zusammenblieben, und schließlich kriegte sie ihren Masser dahin, daß er das schwarze Mädchen und auch ihre Mammy verkaufte.«
    Doch kaum waren sie außer Reichweite, fuhr Bell zu erzählen fort, da bekam das weiße Mädchen so anhaltende hysterische Zustände, daß Masser Waller immer wieder geholt werden mußte; der sagte dem Vater schließlich, seine Tochter würde an Kummer und Entkräftung sterben, wenn ihr das schwarze Mädchen nicht zurückgegeben würde. »Der Masser dort war nah dran, seine neue Missis auszupeitschen«, sagte Bell mit Genugtuung. »Er ritt im Galopp los, und ich weiß nicht, wie lange er gebraucht hat, bis er dem Sklavenhändler wieder auf die Spur kam, und dann dem Masser, an den der Händler die Mammy mit ihrer Tochter weiterverkauft hatte. Aber es klappte, er brachte das schwarze Mädchen zurück und holte auch gleich ’n Advokaten und machte schriftlich ab, daß das Mädchen nun das Privateigentum seiner eigenen Tochter war.« Und Bell fügte hinzu, daß noch heute, nach Jahren, das weiße Mädchen, das längst eine erwachsene Frau sei, ihre Gesundheit nicht völlig wiedererlangt habe.

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