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Wurzeln

Wurzeln

Titel: Wurzeln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Haley
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diese späte Zeit wäre es höchst unwahrscheinlich, daß noch jemand im Sklavenquartier auf war und beobachtete, welchen mumbo-jumbo Kunta draußen vollführte. Obwohl sie es sich nicht anmerken ließ, war Bell beleidigt, weil Kunta nicht mit ihr zusammen einen Namen für die Tochter aussuchen wollte, die sie gerade unter solchen Todesqualen zur Welt gebracht hatte, und es grauste ihr vor dem afrikanisch klingenden, verbotenen Namen, den Kunta sicherlich im Sinn hatte; andererseits würde sie mit dem Namen später schon auf ihre Weise fertig werden. Es war fast Mitternacht, als Kunta, sein sorglich eingehülltes Erstgeborenes im Arm, die Hütte verließ. Er ging, bis er glaubte, weit genug vom Sklavenquartier entfernt zu sein, so daß nichts Unrechtes die fromme Handlung stören konnte, die jetzt stattfinden sollte.
    Dann, unter Mond und Sternen, richtete Kunta das kleine Wickelbündel in seinen Armen auf und drehte es so, daß seine Lippen das rechte Ohr des Kindes berührten. Langsam und deutlich flüsterte er dreimal in der Mandinka-Sprache in das winzige Ohr: »Dein Name ist Kizzy. Dein Name ist Kizzy. Dein Name ist Kizzy.« Es war getan, wie an allen Kinte-Vorfahren und an ihm selbst getan worden war und wie auch an diesem Kind geschehen wäre, wenn es im Land seiner Väter geboren worden wäre. Kizzy stand es zu, als erste zu wissen, wer sie war.
    Kunta fühlte, wie Afrika durch seine Adern pulste und von ihm in das Kind hinüberströmte, in sein und Bells Fleisch. Nach einigen Schritten blieb er abermals stehen, schlug einen Zipfel der Decke zurück, bot das entblößte schwarze Gesichtchen dem Himmel und sprach, diesmal laut, auf Mandinka zu seiner Tochter: »Schau auf zu dem Einzigen, der größer ist als du selbst!«
    Als Kunta mit dem Baby in die Hütte zurückkam, riß Bell es sogleich an sich, wickelte es mit ängstlichem Gesicht aus der Decke und untersuchte es von Kopf bis Fuß, ohne recht zu wissen, was sie suchte, und in der Hoffnung, nichts zu finden. Erleichtert, daß Kunta der Kleinen nichts Unaussprechliches angetan hatte – zumindest nichts Sichtbares –, packte sie sie ins Bett, kam zu Kunta zurück, setzte sich ihm gegenüber, faltete die Hände im Schoß und sagte: »Na gut, nun laß es schon raus.«
    »Was rauslassen?«
    »Den Namen, Afrika-Mann. Wie hast du sie genannt?«
    »Kizzy.«
    »Kizzy! Hat man je so einen Namen gehört!«
    Kunta erklärte, daß »Kizzy« auf Mandinka hieß: »Setz dich« oder »Du bleibst hier«, was wiederum bedeutete, daß dieses Kind nie von der Mutter weg verkauft werden würde wie Bells frühere zwei kleine Töchter.
    Doch Bell ließ sich dadurch nicht besänftigen. »Das bringt uns nichts Gutes!« beharrte sie so lange, bis Kuntas neu aufsteigender Ärger sie bewog, die Klügere zu sein und nachzugeben. Nun fiel ihr auch ein, und sie sagte es, daß ihre Mutter, wie sie sich undeutlich erinnerte, von einer Großmutter namens »Kibby« gesprochen hatte. Das klang ja sehr ähnlich, und sie konnten es dem Masser wenigstens als Grund angeben, falls er etwas argwöhnte.
    Am nächsten Morgen überspielte Bell ihre Nervosität, so gut sie konnte, als der Masser ihr eine ärztliche Kontrollvisite abstattete; sie brachte sogar bei Nennung des Namens ein harmlos-vergnügtes Lachen zustande. Aber der Masser hatte gar nichts gegen den Namen, er fand ihn nur eigenartig – und Bell stieß einen tiefen Seufzer der Erleichterung aus, als er aus der Tür war.
    Bevor Masser Waller an diesem Tag das Haus verließ, um wie sonst, von Kunta gefahren, seine Patienten zu besuchen, nahm er die große schwarze Bibel aus dem Wohnzimmerschrank, wo er sie unter Verschluß hielt, und schlug eine für das Sklavenregister vorgesehene Seite auf. Dann tauchte er die Feder ins Tintenfaß und schrieb in zierlichen schwarzen Buchstaben: »Kizzy Waller, geboren am 12. September 1790.«

Kapitel 69
    »Sie ist ganz wie ein kleines Niggerpüppchen!« quietschte Missy Anne, als sie Kizzy drei Tage später zum erstenmal in Bells Küche sah und vor Begeisterung herumhüpfte und in die Hände klatschte. »Darf ich sie haben?«
    Bell lächelte geschmeichelt. »Na ja, eigentlich gehört sie ja mir und ihrem Daddy, Schätzchen, aber wenn sie groß genug ist – klar, dann kannst du mit ihr spielen, soviel du willst!«
    Missy Anne hielt sich an diese Zusage. Wann immer Kunta jetzt in die Küche kam, um zu fragen, ob der Einspänner gebraucht wurde, oder auch nur, um ein bißchen mit Bell zu schwatzen,

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