Wurzeln
seiner Heimat. Bell, die schon lange mit einem neuen Kleidchen für Kizzy fertig war, formte inzwischen in der Küche zwei kleine rosa Kerzen für den Schokoladenkuchen, der am Sonntag aufgetischt werden sollte, wozu Tante Sukey und Schwester Mandy eingeladen waren. Aber da fuhr plötzlich der Einspänner mit Masser Johns Kutscher Roosby in den Hof.
Bell biß sich auf die Zunge, als der Masser sie leutselig strahlend zu sich rief und ihr mitteilte, daß Missy Anne ihre Eltern beschwatzt hatte, ein ganzes Wochenende bei ihrem Onkel verbringen zu dürfen; sie würde morgen abend eintreffen. »Sieh zu, daß ihr Zimmer in Ordnung ist«, sagte der Masser. »Und könntest du vielleicht zum Sonntag einen Kuchen backen? Meine Nichte hat mir ausrichten lassen, daß dein kleines Mädchen Geburtstag hat, und sie möchte so gern in ihrem Zimmer eine Party mit ihr feiern – nur sie und Kizzy, ganz unter sich. Außerdem hat Anne mich gefragt, ob sie das Kind auch über Nacht bei sich behalten kann, und ich hab’s ihr erlaubt. Also sorg dafür, daß am Fußende des Bettes ein paar Matten für deine Kleine hingelegt werden.«
Als Bell diese Neuigkeit Kunta beibrachte und hinzufügte, ihr Schokoladenkuchen müsse nun eben im Herrenhaus serviert werden statt in ihrer Hütte und Missy Anne würde Kizzy sowieso derart in Beschlag nehmen, daß sie kaum eine eigene Geburtstagsfeier machen könnten, da war Kunta vor Wut sprachlos. Er konnte Bell nicht einmal ins Gesicht sehen, sondern stampfte hinaus, geradewegs zur Scheune, und zog die Mandinka-Puppe aus dem Stroh, in dem er sie versteckt hatte.
Er hatte Allah geschworen, daß seiner Kizzy nie so etwas zustoßen sollte – aber was konnte er tun? Er fühlte sich so elend in seiner Wehrlosigkeit, daß er fast anfing, die anderen Schwarzen zu verstehen, die sich allmählich damit abfanden, daß jeglicher Widerstand gegen die toubobs so nutzlos war wie der Versuch einer Blume, den Kopf über dem fallenden Schnee hochzuhalten. Aber dann fiel Kunta mit seiner Mandinka-Puppe in der Hand eine schwarze Mutter ein, von der er einmal gehört hatte; sie hatte ihrem Kind am Versteigerungsblock eigenhändig den Schädel zerschmettert und gekreischt: »Der tut keiner mehr dasselbe an wie mir!« Kunta holte weit aus, um die Puppe an die Wand zu schmettern – und ließ die Hand langsam wieder sinken. Nein, das brachte er nicht fertig. Aber wie wäre es mit Flucht? Bell selbst hatte ihn vor Kizzys Geburt einmal danach gefragt. Ob sie wirklich mitginge? Und wenn – wie sollten sie es je schaffen, in ihrem Alter, mit seinem verstümmelten Fuß, mit einem Kind, das gerade erst laufen gelernt hatte? Er hatte es seit Jahren nicht mehr ernstlich erwogen, aber jetzt kannte er – anders als früher – die ganze Region so genau wie die Plantage selbst. Vielleicht …
Er ließ die Puppe achtlos fallen und kehrte in die Hütte zurück. Aber Bell ließ ihn erst gar nicht zu Worte kommen, sondern sprudelte sofort los: »Kunta, mir ist es ebenso scheußlich wie dir, aber hör zu! Ich seh sie doch lieber bei Missy Anne, als daß sie nächstens auf die Felder geschleift wird wie dieser arme kleine Noah. Der ist auch bloß zwei Jahre älter als Kizzy, und trotzdem nehmen sie ihn schon mit raus, und er muß Unkraut jäten und Wasser tragen. Egal, wie dir zumut ist, ich glaub, das wirst du einsehn müssen.« Kunta schwieg wie gewöhnlich, aber er hatte in dem Vierteljahrhundert seines Sklavendaseins genug miterlebt, um zu wissen, daß das Leben eines Feldnegers nicht besser war als das von Ackervieh, und er wäre lieber gestorben, als seine Tochter einem solchen Schicksal zu überantworten.
Dann, ein paar Wochen später, erwartete ihn Bell abends beim Heimkehren schon an der Tür mit dem Becher kalter Milch, auf die er sich nach langen Fahrten immer im voraus freute. Während er im Schaukelstuhl aufs Abendessen wartete, trat sie hinter ihn und massierte unaufgefordert die Stelle an seinem Rücken, die ihm, wie sie wußte, nach einem langen Tag auf dem Bock besonders schmerzte. Als sie ihm dann noch sein afrikanisches Leibgericht vorsetzte, war ihm klar, daß sie ihn schonend auf irgend etwas vorzubereiten suchte, er hütete sich aber, sie direkt danach zu fragen. Während des Essens schwatzte sie noch mehr als gewöhnlich über noch weniger wichtige Dinge als gewöhnlich, und Kunta fragte sich, ob sie wohl jemals zur Sache kommen würde, als sie endlich beim Zubettgehen, eine Stunde später, im Reden innehielt,
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