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Wurzeln

Wurzeln

Titel: Wurzeln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Haley
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hab, aber nun, wo er nicht mehr da ist, kann’s nie nicht wieder werden wie früher – so ohne ihn.«
    Sie und Kunta aßen schweigend zu Abend, dann wickelten sie Kizzy warm ein gegen die frühherbstliche Kühle und gesellten sich mit ihr zu den Nachbarn, um gemeinsam die Totenwache zu halten.
    Kunta saß, die zapplige Kizzy auf dem Schoß, ein wenig abseits von den anderen, während die erste Stunde mit Beten und leisem Singen verbracht wurde. Dann fing Schwester Mandy im Flüsterton ein Gespräch an; sie fragte, ob sich wer erinnern könnte, daß der alte Mann je irgendwelche lebenden Verwandten erwähnt hätte. »Einmal unterwegs«, sagte der Fiedler, »hat er mir erzählt, daß er seine Mammy nie gekannt hat. Das war alles, was ich überhaupt von ihm über Familiensachen gehört hab.« Und da der Fiedler dem Alten am nächsten gestanden hatte und daher am ehesten Bescheid wissen mußte, wurde allgemein angenommen, es gäbe wahrscheinlich niemanden mehr, den man benachrichtigen sollte. Wieder wurde ein Gebet gesprochen, ein Lied gesungen, und dann sagte Tante Sukey: »Wie’s scheint, hat er immer einem von den Wallers gehört. Er hat mal davon geredet, wie er den Masser als kleinen Jungen Huckepack getragen hat. Schätze, deswegen hat ihn der Masser auch später geholt, als er sein eigenes großes Haus bekam.«
    »Der Masser ist auch richtig traurig«, sagte Bell. »Ich soll euch allen bestellen, morgen wird für einen halben Tag nicht gearbeitet.«
    »Na, da wird er wenigstens ordentlich begraben«, meinte die Pflückerin Ada, Mutter des kleinen Noah, der reglos neben ihr saß. »Es gibt ’n Haufen Massers, die erlauben bloß ’ne ganz kurze Arbeitspause, eben genug, um den toten Nigger noch mal anzuschaun, bevor er noch warm in die Erde kommt.«
    »Alle diese Wallers sind hochanständige weiße Leute«, sagte Bell, »da braucht man sich nicht drum zu sorgen.«
    Dies regte einige Umsitzende zu Erzählungen an, was manche reichen Plantagenbesitzer zuweilen für prunkvolle Leichenbegräbnisse veranstalteten, meist für langjährige herrschaftliche Köchinnen oder für die alten Mammys, die zwei oder gar drei Jahrgänge von weißen Kindern mit ihren eigenen gesäugt und aufgezogen hatten. »Und sie werden auf dem Familienfriedhof begraben, mit ’ner schönen Steinplatte drauf, damit jeder sieht, wo sie liegen …«
    Welch zu Herzen gehender, wenn auch verspäteter Lohn für ein Leben voller Plackerei, dachte Kunta bitter. Er erinnerte sich, daß der Gärtner ihm erzählt hatte, er sei als kräftiger junger Stallbursche zum Masser gekommen, und das sei er viele Jahre hindurch geblieben, bis er von einem Pferd schlimm getreten worden war. Zwar habe er seinen Dienst weitergemacht, aber nach und nach sei er immer untauglicher dazu geworden, und schließlich habe Masser Waller ihm gesagt, er solle für den Rest seiner Tage irgend etwas anderes machen, wozu er sich noch imstande fühle. Da hatte er, nun mit Kuntas Hilfe, den Gemüsegarten besorgt, bis er auch für diese Arbeit zu schwach geworden war, und von da an hatte er den größten Teil seiner Zeit damit verbracht, Maisblätter und Stroh zu Sonnenhüten, Stuhlsitzen und Fliegenwedeln zu flechten, bis die fortschreitende Arthritis ihm auch noch die Finger verkrümmte. Bei dieser Erinnerung fiel Kunta ein anderer alter Mann ein, den er ab und zu auf einer anderen großen Pflanzung des Distrikts getroffen hatte. Der war längst aufs Altenteil gesetzt worden, verlangte aber jeden Morgen, daß ein paar der jüngeren Schwarzen ihn in den Garten transportierten, wo er, auf der Seite liegend, mit knorrig-steifen Händen Unkraut aus den Beeten rupfte, seiner ebenso alten und verkrüppelten, ein Leben lang geliebten Missis zu Gefallen. Aber solche Leute waren die Glücklichen unter ihnen, wie Kunta wußte. Viele Alte wurden geschlagen, sobald sie nicht mehr ihr früheres Arbeitspensum zu leisten vermochten, und schließlich wurden sie für zwanzig oder dreißig Dollar an irgendwelches »armes weißes Pack« verkauft, das in die Pflanzerklasse aufzusteigen hoffte und von dem sie dann buchstäblich zu Tode geschunden wurden.
    Kunta wurde jäh aus seinen Gedanken gerissen, als jedermann ringsum aufstand, ein letztes Gebet sprach und müde in die eigene Hütte schlich, um vor Tagesanbruch noch ein paar Stunden zu schlafen.
    Gleich nach dem Frühstück kleidete der Fiedler den alten Mann in den fadenscheinigen dunklen Anzug, den der vor Jahrzehnten von Masser Wallers Vater

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