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Wurzeln

Wurzeln

Titel: Wurzeln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Haley
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Städten rum wie die Schmeißfliegen«, sagte der Fiedler. »Letztes Mal, als ich in Fredericksburg war, sind sie sogar um so was Altes und Verdorrtes wie mich rumgesurrt, bis ich meinen Paß raushole. Ich hab gesehn, wie ein armer alter Graubart für sechshundert Dollar verkauft wurde. Früher haben nur junge, kräftige Nigger soviel eingebracht. Aber der Alte da hat nicht etwa den Mund gehalten! Wie sie ihn vom Auktionsblock gezerrt haben, hat er geheult: ›Ihr Weißen alle, ihr habt Gottes Erde zur Hölle für mein Volk gemacht! Aber so wahr das Jüngste Gericht kommt, so wahr fahrt ihr in die Hölle zurück, wo ihr her seid! Euch rettet kein Bitten und Betteln vor der ewigen Verdammnis … keine von den Medizinen, die ihr macht … kein Wegrennen … keine Gewehre … NICHTS wird euch dann erretten!‹ Inzwischen hatten sie ihn schon weggeschleppt, und ich konnt nichts mehr hören. Der Graubart muß ein Prediger gewesen sein oder so, der Art nach, wie der losgelegt hat.«
    Kunta merkte Bells plötzliche Aufregung. »War der Alte kohlschwarz?« fragte sie hastig, »klapperdürr, ein bißchen verkrümmt und mit ’nem weißen Bart und ’ner großen Narbe im Nacken?«
    Der Fiedler erschrak. »Ja! Stimmt genau! Alles … Weißt du, wer er ist?«
    Bell sah Kunta an, als würde sie gleich in Tränen ausbrechen. »Es ist der Priester, der Kizzy getauft hat«, sagte sie schwermütig.
    Am Abend danach war Kunta gerade in der Hütte des Fiedlers zu Besuch, als Cato auf die Schwelle trat und an die offene Tür klopfte. »Was stehst du draußen rum?« rief der Fiedler. »Komm schon rein!« Cato folgte der Aufforderung. Kunta und der Fiedler waren sehr erfreut, daß er gekommen war. Erst kürzlich hatten sie sich den gegenseitigen Wunsch eingestanden, der ruhige, solide Vormann möge sich näher mit ihnen anfreunden, etwa so wie der alte Gärtner ihnen nahegestanden hatte.
    Doch schien Cato ziemlich befangen zu sein. »Ich wollt nur eben mal sagen«, begann er verlegen, »es wär vielleicht besser, wenn ihr nicht all die gruseligen Sachen erzählt von den Leuten, die in den Süden verkauft werden …« Cato zögerte. »Der Grund ist, um die Wahrheit zu sagen: meine Leute draußen in den Feldern kriegen es dermaßen mit der Angst, daß sie auch verkauft werden, daß sie mit den Gedanken einfach nicht bei der Arbeit bleiben können.« Wieder stockte er kurz. »Ich mein, alle außer mir und dem Jungen, dem Noah. Ich denk mir eben: wenn ich verkauft werden soll, dann werd ich eben verkauft, da ist nichts zu machen. Und der Noah – ich glaub, der hat vor gar nichts Angst.«
    Nachdem sie ein paar Minuten weiter zu dritt darüber gesprochen hatten (Kunta spürte, wie Cato bei ihrem warmen Entgegenkommen auftaute), wurde vereinbart, daß sie die schlimmsten Neuigkeiten künftig für sich behielten und die anderen nicht unnötig erschreckten, nicht einmal Bell.
    Aber schon eine Woche später blickte Bell eines Abends in der Hütte unvermittelt von ihrem Strickzeug auf und sagte: »Wie’s scheint, gibt’s hier neuerdings ’n paar Leisetreter, oder die Weißen verkaufen keine Nigger mehr. Ich bin doch nicht so blöd, wie ihr denkt!«
    Kunta knurrte beschämt. Er war platt, daß Bell – und wahrscheinlich auch alle anderen Bewohner des Sklavenquartiers – intuitiv erraten hatten, daß er und der Fiedler nicht mehr alles erzählten, was sie wußten. Also sprach er wieder über Sklavenverkäufe, ließ allerdings die schlimmsten Einzelheiten weg. Dafür rückte er Erfolgsgeschichten über schwarze Flüchtlinge in den Vordergrund und wiederholte jeden Klatsch, wie schlaue, redegewandte Sklaven unterwegs die dummen weißen Patrouillen zum Narren gehalten hätten. Demnach hatten ein »gelber« Hausdiener und ein schwarzer Stallknecht einmal Einspänner, Pferd und feine Anzüge gestohlen, dazu einen Hut, mit dem angetan sich der Gelbe als reicher Masser ausgab, der laut auf seinen schwarzen Kutscher schimpfte, sobald sie auf ihrer Fahrt in den Norden – in die Freiheit also – auf weiße Patrouillen stießen. Ein andermal erzählte Kunta von einem nicht weniger tollkühnen Sklaven, der mit seinem Maultier den Weißen jedesmal beinahe ins Gesicht galoppierte, bevor er es ruckartig zum Stehen brachte und schwungvoll ein großes, schön geschriebenes Dokument entrollte, das angeblich eine Eilbotschaft von seinem Masser war – wobei er stets darauf setzen konnte, daß die weißen Analphabeten ihn lieber durchließen, als zuzugeben, daß

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