Wurzeln
sie nicht lesen konnten.
Kunta brachte seine Nachbarn jetzt oft zum Lachen. So erzählte er beispielsweise von schwarzen Ausreißern, die so perfekt stottern und sabbern konnten, daß die angewiderten Weißen ihnen befahlen, sich weiterzuscheren, statt sich mit stundenlangen Verhören abzuquälen. Andere hätten zitternde Angst gemimt und dann der Patrouille anvertraut, wie sehr ihre reichen, mächtigen Massers die armen Weißen verachteten und wie scharf sie reagierten, wenn diese sich in ihre Angelegenheiten, auch betreffs der schwarzen Dienerschaft, einmischten. Eines Abends brüllte das ganze Sklavenquartier vor Lachen über Kuntas Bericht von einem Haussklaven, der die rettende Grenze gerade um eine Nasenlänge vor seinem Masser erreicht hatte. Dieser war ihm nachgekeucht, hatte einen Polizisten zu Hilfe gerufen und den Entlaufenen angeschrien: »Du bist mein Nigger, gib’s doch zu!« Der Schwarze hätte ihn aber ganz unschuldig angeguckt und dem Polizisten treuherzig versichert: »Helf mir Gott, der Weiße da ist mir noch nie vor die Augen gekommen!« Damit hatte er die Schaulustigen, die sich ansammelten, ebenso überzeugt wie den Polizisten, der den erbosten Weißen aufforderte, den Mund zu halten und zu gehen, sonst müsse er ihn wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses verhaften.
Kunta selbst hatte nun schon seit Jahren vermieden, in die Nähe einer Sklavenauktion zu geraten – seit damals, als das Mädchen ihn vergebens um Hilfe angefleht hatte. Aber ein paar Monate nach dem Dreiergespräch mit Cato und dem Fiedler kutschierte er den Masser zufällig gerade um die Frühnachmittagszeit auf den Hauptplatz von Spotsylvania, als dort eine Versteigerung begann.
»Nur näher, Gentlemen, ich offerier Ihnen heute die prächtigsten Nigger, die Sie je gesehen haben!« Noch während der Marktschreier seine Ware anpries, stieß sein bulliger Gehilfe eine alte Sklavin auf das Gerüst. »Eine vortreffliche Köchin!« fing der Auktionator an, aber sie schrie dazwischen: »Masser Philip, Philip!« Sie streckte verzweifelt die Arme nach einem Weißen aus, der vorn in der gaffenden Menge stand. »Masser Philip, ich hab schon für Euch und Euren Bruder und Euren Daddy gearbeitet, wie Ihr noch ganz klein wart! Bin ja alt und taug nicht mehr viel, aber, o Gott, behaltet mich doch! Ich will auch hart arbeiten, Masser Philip! Bitte, Sörr ! Nicht zulassen, daß die mich totpeitschen da im Süden!«
»Halt an, Toby«, befahl Masser Waller.
Kuntas Blut gefror, als er die Zügel anzog. Warum wollte der Masser plötzlich bei einer Auktion zusehen, nachdem er lange Jahre hindurch keinerlei Interesse dafür gezeigt hatte? Dachte er daran, jemanden zu verkaufen, oder was? Lag es an dem herzzerreißenden Ausbruch der alten Frau? Der »Masser Philip«, den sie anflehte, schrie als Antwort nur einen hämischen Witz, und die Zuschauer lachten noch, als ein Sklavenhändler sie für siebenhundert Dollar kaufte.
»Gott, steh mir bei, Jesus, hilf!« jammerte sie immer noch, als der schwarze Helfer des Käufers sie zu einem hölzernen Verschlag zerrte. »Nimm deine schwarzen Pfoten weg von mir, Nigger!« schrie sie ihn an, und die Zuschauer bogen sich vor Lachen. Kunta biß sich auf die Lippen und drängte die Tränen zurück.
»Nun kommt unser Preisbulle dran, Gentlemen!« Der nächste auf der Plattform war ein junger Schwarzer, dem Haß in den Augen loderte und dessen gewaltiger Brustkasten und muskulöser Rücken kreuz und quer von frischen, blutroten Striemen gezeichnet waren. »Der muß nur ab und zu ’n bißchen auf Trab gebracht werden«, erklärte der Auktionator. »Er kann ein Maultier mit unterpflügen! Pflückt pro Tag vierhundert Pfund Baumwolle! Sehn Sie ihn nur an! Unschätzbar als Zuchtstier, falls die Weiber bei Ihnen nicht jedes Jahr ordentlich werfen! Bieten Sie, Gentlemen – Sie kriegen ihn auf jeden Fall zum Spottpreis!« Der gefesselte junge Mann brachte vierzehnhundert Dollar.
Kuntas Blick trübte sich von neuem, als eine hochschwangere, weinende Mulattin auf die Plattform geführt wurde. »Gleich zwei zum Einheitspreis, oder eins gratis, kommt drauf an, wie Sie die Sache betrachten!« brüllte der Auktionator. »Gesunde Bälger sind heutzutage schon beim ersten Schrei ihre hundert Dollar wert!« Die Schwangere ging für tausend Dollar weg.
Es wurde unerträglich, als die nächste an der Kette zur Rampe gezerrt wurde, und Kunta fiel beinahe vom Sitz. Das junge Mädchen, das vor Grauen bebte, hätte eine nur
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