Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wurzeln

Wurzeln

Titel: Wurzeln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Haley
Vom Netzwerk:
wenig ältere Kizzy sein können, so ähnlich war sie ihr in Gestalt, Hautfarbe und sogar einigen charakteristischen Gesichtszügen. Wie vor den Kopf geschlagen, hörte er die marktschreierische Anpreisung: »Ein gutausgebildetes Hausmädchen – und außerdem ’ne prima Zuchtstute, falls Sie eine brauchen«, fügte er mit anzüglichem Grinsen hinzu. Zu genauerer Inspektion auffordernd, riß er ihr den Halsverschluß des Sackumhangs auf, der ihr sofort bis auf die Füße hinabfiel. Das überrumpelte Mädchen schrie auf und suchte weinend ihre Nacktheit mit den gefesselten Armen vor den lüsternen Blicken der Männer zu verbergen, von denen mehrere herandrängten, um sie zu stupsen und zu betasten.
    »Das ist genug! Bring uns hier weg!« befahl der Masser – einen Moment bevor Kunta es, wie er deutlich fühlte, auch ohne Befehl getan haben würde.
    Auf dem Rückweg zur Pflanzung konnte Kunta die Straße kaum wahrnehmen, so wirbelte es in seinem Kopf. Wie, wenn das Mädchen nun wirklich seine Kizzy gewesen wäre? Und die alte Köchin – seine Bell? Wie, wenn sie beide von ihm weg verkauft würden? Oder er von ihnen? Es war zu entsetzlich, weiter darüber nachzudenken, aber er kam dennoch nicht von dem Gedanken los.
    Noch ehe der Einspänner das Herrenhaus erreichte, spürte Kunta mit jedem Nerv, daß auch hier etwas nicht stimmte, vielleicht, weil er trotz des warmen Sommerabends keinen Menschen aus dem Sklavenquartier herumschlendern oder draußen sitzen sah. Kunta setzte den Masser ab, schirrte die Pferde aus, brachte sie schleunigst in den Stall und eilte schnurstracks zur Küche, wo Bell um diese Zeit das Abendessen für den Masser vorbereiten mußte. Sie bemerkte ihn nicht, bis er durch die Fliegentür fragte: »Ist bei dir alles in Ordnung?«
    »Oh, Kunta!« Sie wirbelte herum und sprudelte mit erschreckt aufgerissenen Augen hervor: »Denk dir, hier war ein Sklavenhändler!« Dann, mit gedämpfter Stimme: »Ich hab Catos Käuzchenschrei vom Feld drüben gehört und bin ans vordere Fenster gerannt, und in ’ner Minute seh ich so ’n städtischen weißen Kerl vom Pferd steigen; ich konnt’s direkt riechen, was das für einer war! Barmherziger Gott! Er kommt die Stufen rauf, und ich nehm mich zusammen und mach ihm die Tür auf. Er sagt, er möchte den Masser oder die Missis sprechen. Ich sag, meine Missis liegt im Grab und mein Masser ist ein Doktor, und er ist weg und kümmert sich um kranke Leute, und man weiß nie, wie spät in der Nacht er wiederkommt. Der Kerl grinst mich bloß unverschämt an und gibt mir ’ne kleine bedruckte Karte und sagt, ich soll sie dem Masser geben und sagen, er käm bald mal wieder vorbei. Ja … Natürlich trau ich mich nicht, die Karte wegzuschmeißen. Schließlich hab ich sie dem Masser einfach auf den Schreibtisch gelegt.«
    »Bell!« rief Masser Wallers Stimme aus dem Wohnzimmer.
    Sie ließ fast den Kochlöffel fallen. »Wart, ich bin gleich wieder da«, flüsterte sie. Kunta wartete, auf das Schlimmste gefaßt, und wagte kaum zu atmen, bis er Bell mit sichtlich erleichterter Miene zurückkehren sah.
    »Er hat nur gesagt, er will heute früher essen. Die Karte war vom Schreibtisch, aber er hat nicht mal nach dem Kerl gefragt, der sie gebracht hat – na, und ich hab natürlich erst recht nicht davon angefangen!«
    Nach Feierabend unterrichtete Bell alle Feldsklaven über die Entwicklung der Ereignisse nach Catos Warnsignal. Tante Sukey fing an zu weinen. »Herr im Himmel, glaubt ihr, daß der Masser wen von uns verkaufen will?«
    »Mich soll keiner mehr schlagen!« erklärte Catos massive Frau, Beulah.
    Lastendes Schweigen folgte. Kunta wußte nichts zu sagen; jedenfalls dachte er nicht daran, ihnen von der heutigen Versteigerung zu erzählen.
    »Na«, meinte der Fiedler endlich, »der Masser hat ja keinen ganzen Haufen überflüssiger Nigger wie andere. Dafür hat er mehr Geld als die meisten; er braucht also keinen zu verkaufen, um seine Schulden zu bezahlen, wie es viele andre machen.«
    Kunta hoffte, daß der Trostversuch des Fiedlers auf die Nachbarn überzeugender wirkte als auf ihn. Bell sah wieder ganz hoffnungsvoll aus. »Ich kenn den Masser«, sagte sie, »oder ich kenn ihn jedenfalls lang genug. Seit wir alle hier sind, hat er nie keinen nicht verkauft – wenigstens keinen außer dem Kutscher damals, dem Luther, und das war, weil Luther einem Mädchen ’ne Karte gezeichnet hat, als ›Fluchthilfe‹. – Nein!« fügte Bell nach kurzem Zögern entschieden

Weitere Kostenlose Bücher