Wurzeln
Für ihn ist der ein Junge wie jeder andre, und er ist froh, daß er nichts für ihn hat zahlen müssen und daß er auf dem Feld arbeitet wie du. Denk lieber nur, daß das schöne große Baby dir gehört, weiter nichts.«
Diese Art, die Dinge zu sehen, tröstete Kizzy einigermaßen. »Aber wenn nun die Missis das Kind eines Tages sieht, Miss Malizy?«
»Die weiß, daß der Masser nichts taugt. Ich wollt, ich hätt einen Penny für jede weiße Frau, die genau weiß, daß ihr Mann mit ’ner Niggerfrau ein Kind hat. Kann sein, die Missis ist eifersüchtig, weil sie offenbar keine kriegt.«
Etwa einen Monat nach der Geburt des Babys kam Masser Lea eines Abends wieder in Kizzys Hütte. Er beugte sich über das Lager und hielt die Kerze nahe an das Gesicht des schlafenden Kindes. »Hm. Sieht nicht schlecht aus. Und schön groß ist er auch.« Mit dem Zeigefinger stieß er an eines der winzigen Fäustchen und sagte dann zu Kizzy: »Also dann. Bis Ende der Woche hast du genug Zeit frei gehabt. Montag gehst du wieder aufs Feld.«
»Aber Masser, ich muß ihn doch stillen!« war ihre unüberlegte Antwort.
Schon wurde er wütend: »Halt die Klappe und tu, was ich dir sage! Willst dich wohl verhätscheln lassen wie eine feine Dame? Damit ist Schluß! Nimm den kleinen Nigger mit aufs Feld, oder ich behalt ihn und verkauf dich so schnell weiter, daß dir schwindlig wird!«
Der bloße Gedanke, von ihrem Kind getrennt zu werden, jagte Kizzy einen solchen Schrecken ein, daß sie in Tränen ausbrach. »Jasörr, Masser«, schluchzte sie. Angesichts ihrer Zerknirschung und Unterwerfung verflog sein Zorn rasch wieder, doch nun merkte Kizzy, daß er in der Absicht gekommen war, sie wieder zu gebrauchen, ausgerechnet jetzt, wo das Baby schlafend neben ihr lag.
»Masser, Masser, es ist zu früh«, flehte sie unter Tränen, »ich bin noch nicht richtig heil!« Doch als er auf ihre Bitten nicht einging, wehrte sie sich nur, bis sie die Kerze gelöscht hatte. Dann ließ sie die Prozedur still über sich ergehen; sie hatte Angst, das Baby könnte erwachen. Sie war erleichtert, daß es immer noch zu schlafen schien, als sich der Masser ausgetobt hatte. »Einen Namen müssen wir ihm ja wohl auch geben«, sagte er im Dunkeln, während er die Hosenträger überstreifte. Kizzy hielt den Atem an. »Nenn ihn George – so hieß mein bester Feldnigger.« Und wie im Selbstgespräch fügte er an: »George. Ja. Morgen schreib ich es in meine Bibel. Ja, das ist ein guter Name – George!« Damit verließ er die Hütte.
Kizzy säuberte sich und legte sich wieder hin. Sie wußte nicht, was sie mehr empörte: daß der Masser sie mißbrauchte oder daß er diesen Namen für ihr Kind gewählt hatte. Ihr schwebte »Kunta« oder »Kinte« als idealer Name vor. Neuer Schrecken überkam sie, als sie daran dachte, was ihr afrikanischer Pappy davon halten würde, für den der Name so viel bedeutete. Sie erinnerte sich, wie er ihr einmal erzählt hatte, daß die Namensgebung in seiner Heimat das Allerwichtigste war, »denn aus Söhnen werden Väter!«.
Ihr Vater hatte stets nur zornig und erbittert von den Weißen gesprochen – »toubobs« nannte er sie. Und sie dachte an Bells Worte: »Es macht mir angst, daß du so glücklich bist, Kind, weil du eigentlich gar nicht weißt, was es heißt, ein Nigger zu sein – und ich hoffe zu Gott, daß du’s nie erfährst.« Nun, sie hatte es erfahren – und es schien der Pein kein Ende zu geben, die die Weißen den Schwarzen zuzufügen imstande waren. Das Schlimmste aber war, daß sie ihnen ihre Persönlichkeit vorenthielten, daß sie sie daran hinderten, ganze Menschen zu sein. So hatte ihr Vater gesagt.
»Deinen Pappy hab ich vom ersten Augenblick an gern gehabt«, hatte die Mammy ihr einmal erklärt, »weil er so stolz war, wie ich noch keinen schwarzen Mann gesehn hatte!«
Bevor sie einschlief, beschloß Kizzy, daß sie in ihrem Kind, wie niedrig auch seine Abkunft war und welchen Namen auch immer der Masser ihm aufzwang, nie etwas anderes als den Enkel eines Afrikaners sehen wollte.
Kapitel 86
Da Onkel Pompey nie viel mehr als »Wie geht’s?« zu Kizzy gesagt hatte, wenn er sie morgens sah, war sie überrascht und gerührt, als sie am ersten Arbeitstag mit dem Baby aufs Feld kam und er ihr schüchtern entgegentrat, einen Finger an die Krempe seines verschwitzten Strohhuts hob und auf die Bäume am Feldrand deutete: »Da drüben, das wär ’n nettes Plätzchen fürs Baby«, sagte er. Kizzy ging argwöhnisch
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