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Wurzeln

Wurzeln

Titel: Wurzeln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Haley
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Scharrplatz zu suchen. Unter dem Beifall der drei mühte sich der für gewöhnlich trübsinnige Onkel Pompey unbeholfen, den Drachen steigen zu lassen, den er für den Jungen gemacht hatte. »Ein richtiges Wunder ist das«, sagte Schwester Sarah zu Kizzy, »so was hat noch keiner erlebt. Wie das Kind noch nicht da war, ist Onkel Pompey immer bloß in seine Hütte gekrochen und hat sich bis Montag nicht mehr sehn lassen.«
    »Das ist die Wahrheit!« bestätigte Miss Malizy. »Hab gar nicht gewußt, daß Pompey so lustig sein kann!«
    »Ich hab mich richtig gefreut, wie er die Laube aufgestellt hat, als ich George das erstemal aufs Feld brachte.«
    » Du hast dich gefreut? Das Kind macht uns allen Freude!« sagte Schwester Sarah.
    Onkel Pompey verstand es auch weiterhin, die Aufmerksamkeit des Zweijährigen zu fesseln, indem er ihm Geschichten erzählte. Wenn sonntags die Sonne unterging, der Abend kühl wurde und die drei Frauen ihre Stühle zurechtgerückt hatten, machte Onkel Pompey ein kleines qualmendes Feuer aus grünem Holz, um die Mücken zu vertreiben. George machte es sich bequem und sah Onkel Pompey in das ausdrucksvolle Gesicht und auf die gestikulierenden Hände, wenn der von »Bruder Hase« und »Bruder Bär« erzählte, wobei er aus einem so reichen Schatz von Geschichten schöpfte, daß Schwester Sarah sich veranlaßt fühlte, bewundernd auszurufen: »Hätt nicht im Traum dran gedacht, daß du all diese Geschichten kennst!« Onkel Pompey warf ihr einen nachdenklichen Blick zu und bemerkte: »Ich weiß ’ne Menge Geschichten, die du nicht kennst!« Schwester Sarah tat empört: »Hm! Die will bestimmt keiner wissen!« Onkel Pompey paffte friedlich seine Pfeife und lächelte stillvergnügt.
    Kizzy bemerkte eines Tages zu Miss Malizy: »Schwester Sarah und Onkel Pompey tun immer so, als können sie sich nicht leiden, es sieht mir aber so aus, als wenn einer ohne den andern gar nicht sein kann.«
    »Kind, das weiß ich nicht. Ich weiß bloß, daß es keiner zugibt, auch wenn’s so ist. Ich glaub, sie machen nur Spaß, damit die Zeit vergeht, das ist alles. Wenn du mal so alt bist wie wir und keinen Mann hast, gewöhnst du dich eben dran. Kannst ja sowieso nichts dagegen tun.« Forschend betrachtete sie Kizzy, bevor sie weitersprach. »Wir sind alt, das ist mal so, aber wenn man jung ist wie du, das ist was andres. Der Masser sollte einen kaufen, mit dem du zusammen sein kannst.«
    »Ja, Miss Malizy. Ich will nicht so tun, als täte ich nicht daran denken, die Wahrheit ist, ich denk dran, und nicht zu knapp.« Dann sagte sie etwas, woran beide nicht zweifelten. »Aber das macht der Masser nicht.«
    Sie wußte zu schätzen, daß keiner ihrer Freunde je ihre Beziehungen zu dem Masser erwähnte oder darauf anspielte, obwohl die allen bekannt sein mußten; zumindest nicht in ihrer Gegenwart. »Wo wir doch jetzt so vertraulich miteinander reden«, fuhr sie fort, »ich hab ’n Mann gekannt, wo ich früher war. Ich denk immer noch oft an ihn. Wir wollten heiraten, aber dann ging alles schief. Drum bin ich jetzt hier.«
    Kizzy fühlte die von aufrichtiger Zuneigung getragene Teilnahme Miss Malizys und schlug einen lebhafteren Ton an. Sie erzählte, wie es mit Noah gewesen war. »Ich denk immer«, meinte sie, »er sucht nach mir, und eines Tages steht er einfach vor mir.« Dabei machte sie ein ganz andächtiges Gesicht. »Wenn er kommt, sagt bestimmt keiner von uns ein Wort. Wir nehmen uns bei der Hand, ich sag euch Lebewohl, nehme meinen George, und wir gehen. Ich frag nicht wohin, das ist mir auch gleich. Ich werd nie vergessen, was er am letzten Tag zu mir gesagt hat: ›Im Norden können wir immer beisammenbleiben, Baby!‹« Kizzys Stimme zitterte, und alle beide weinten. Bald darauf ging Kizzy in ihre Hütte zurück.
    Als George ein paar Wochen später an einem Sonntag Miss Malizy im großen Haus das Mittagessen vorbereiten »half«, lud Schwester Sarah Kizzy zum erstenmal, seit diese auf die Lea-Farm gekommen war, in ihre Hütte ein. Kizzy bewunderte unzählige getrocknete Wurzeln und Kräuter, die büschelweise von Haken und Nägeln hingen und Schwester Sarahs Behauptung Glaubwürdigkeit verliehen, sie besäße die natürlichen Heilmittel für fast alle Krankheiten. Kizzy setzte sich auf den einzigen Stuhl, und Schwester Sarah sagte: »Ich will dir was erzählen, was nicht alle wissen. Meine Mammy war aus Louisiana. Die konnte wahrsagen, und von der hab ich’s gelernt.« Sie blickte in Kizzys erstauntes

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