Wurzeln
hin und entdeckte dort zu ihrem Erstaunen eine Art Laube, das Dach aus frischgeschnittenen Binsen, der Boden mit Laub gepolstert. Sie war tief gerührt.
Dankbar breitete sie einen sauberen Sack über das Laub und legte das Baby darauf. Es weinte erst ein wenig, fing aber bald an, fröhlich zu krähen und seine Fingerchen zu begucken. »Das ist wirklich nett von dir, Onkel Pompey«, sagte sie, als sie zu ihren Gefährten zurückkehrte, die auf dem Tabakfeld arbeiteten. Er brummte etwas und hackte noch schneller, um seine Verlegenheit zu verbergen. Ab und zu eilte Kizzy hinüber, um nach dem Baby zu sehen, und alle drei Stunden, wenn es anfing zu weinen, setzte sie sich nieder und ließ es an ihren Brüsten saugen, die prall gefüllt waren. »Dein Baby ist für uns eine wahre Freude«, meinte Schwester Sarah einige Tage später zu Kizzy, sah aber dabei Onkel Pompey an, der ihren Blick erwiderte, als wäre sie eine lästige Mücke. War der Arbeitstag bei Sonnenuntergang zu Ende, bestand Schwester Sarah darauf, das Baby zu nehmen, während Kizzy die Hacken zum »Sklavenquartier« trug, vier kleine, kistenartige, mit nur einem einzigen Fenster ausgestattete Hütten unweit einer großen Goldkastanie. Meistens dämmerte es schon, wenn Kizzy ein paar Scheite in den kleinen Herd schob, um etwas von der Ration zu kochen, die Masser Lea sonnabends morgens austeilte. Wenn sie gegessen hatte, spielte sie mit George; sie stillte ihn erst, wenn er vor Hunger zu plärren anfing. Dann durfte er nach Herzenslust trinken. Anschließend nahm sie ihn auf und rieb ihm den Rücken, bis er aufstieß. Dann spielte sie wieder mit ihm, bis er einschlief. Er sollte möglichst fest schlafen, damit er nicht aufwachte, wenn der Masser zwei- bis dreimal die Woche erschien, um ihr Gewalt anzutun. Er roch immer nach Schnaps. Kizzy hatte beschlossen – um des Babys wie auch um ihrer selbst willen –, ihm keinen Widerstand mehr entgegenzusetzen. Haßerfüllt, die Beine gespreizt, kalt und still lag sie da, während er grunzend seiner Lust frönte. Wenn er sein Geschäft beendet hatte und sich erhob, blieb sie mit geschlossenen Augen liegen, wartete, bis sie das übliche Zehn- oder auch Fünfundzwanzigcentstück auf den Tisch fallen hörte, und stand erst auf, wenn er gegangen war. Ob wohl auch die Missis im Herrenhaus unweit von Kizzys Hütte wachte? Was dachte sie wohl, wenn der Masser zu ihr ins Bett stieg und nach einer anderen Frau roch?
Wenn sie George vor Tagesanbruch noch zweimal die Brust gegeben hatte, fiel sie in tiefen Schlaf, aus dem sie, wie ihr schien, gleich darauf von Onkel Pompey gerissen wurde, der an die Tür klopfte, um sie zu wecken. Kizzy frühstückte und stillte noch einmal das Baby, bevor Schwester Sarah erschien, um es auf eines der Felder hinauszutragen. Es gab Felder für Mais, Tabak und Baumwolle, und Onkel Pompey hatte mittlerweile am Rande eines jeden eine schattige Laube errichtet. Sonntags nach dem Mittagessen machten der Masser und die Missis ihre wöchentliche Ausfahrt, und kaum waren sie weg, versammelten sich die Sklaven rund um die Goldkastanie zum Plausch. Seit auch Kizzy und ihr Söhnchen dazugehörten, stritt man sich darum, wer den unruhigen kleinen George halten durfte. Onkel Pompey, der seine Pfeife paffte, schien es Freude zu machen, mit Kizzy zu reden – vielleicht weil sie ihn seltener unterbrach und mit mehr Respekt zuhörte als die beiden älteren Frauen.
»Als der Masser seine ersten dreißig Morgen kaufte und seinen ersten Nigger – George hieß er, so wie dein Kleiner da –«, erzählte Pompey, »war hier lauter Wald, und das Land kostete keine fünfzig Cents der Morgen. Der Nigger hat sich zu Tode geschuftet.« Onkel Pompey unterbrach sich, als er sah, wie Kizzy zusammenzuckte. »Hast du was?«
»Nein, nichts!« Kizzy faßte sich schnell, und Onkel Pompey fuhr fort.
»Als ich herkam, war der arme Nigger schon ein Jahr da. Mußte Bäume fällen, Stümpfe und Wurzeln ausgraben und Buschwerk roden zum Pflügen für die erste Saat. Eines Tages sägten wir Stämme zu Brettern für das große Haus da.« Onkel Pompey deutete hinüber. »Plötzlich hörte ich so ’n sonderbares Geräusch. George rollte mit den Augen, griff sich an die Brust und fiel tot um – einfach so.«
Kizzy wechselte das Thema. »Seit ich da bin, hör ich alle immerzu von Hahnenkämpfen reden. Wo ich früher gelebt hab …«
»Der Masser sagt, daß es die auch in Virginia gibt, und nicht zu knapp«, bemerkte Malizy. »Aber
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