Wurzeln
innigere Beziehung herstellte.
Ging er mit ihm irgendwohin, stellte er sich vor, er nähme Lamin mit auf eine Reise, wie sie manchmal Väter mit ihren Söhnen unternahmen. Kunta fühlte sich dann irgendwie gehalten, als verantwortungsbewußter Älterer zu handeln, zu dem Lamin als dem Wissenden aufsehen mochte. Der neben ihm gehende Kleinere stellte eine Frage nach der anderen. »Wie sieht die Welt aus?«
Kunta antwortete: »Kein Mensch und kein Kanu hat sie ganz bereist, und keiner weiß alles, was man darüber wissen könnte.«
»Was lernst du beim arafang ?«
Kunta sagte die ersten Koranverse arabisch auf und befahl: »Probier du es mal.« Lamin verhaspelte sich gleich, was Kunta vorher gewußt hatte, und er sagte deshalb väterlich: »Es braucht schon seine Zeit.«
»Warum tut niemand den Eulen was?«
»Weil die Geister unserer Vorfahren in den Eulen wohnen.« Dann erzählte er von Großmutter Yaisa. »Du warst noch zu klein, du kannst dich an sie nicht erinnern.«
»Was für ein Vogel ist das da?«
»Ein Falke.«
»Was frißt der?«
»Mäuse und andere Vögel und so Zeug.«
»Aha.«
Kunta hatte gar nicht geahnt, was er alles wußte – allerdings konnte er auch längst nicht alle Fragen Lamins beantworten, etwa: »Brennt die Sonne?« oder »Warum schläft unser Vater nicht in unserer Hütte?«
Darauf brummte Kunta dann nur und verstummte, geradeso wie Omoro, wenn ihm Kuntas Fragen zuviel wurden. Lamin fragte nicht weiter, denn bei den Mandinkas galt die Regel, daß man nicht zu Menschen spricht, die nicht angesprochen werden wollen. Manchmal tat Kunta gedankenversunken. Lamin saß dann still dabei, und wenn Kunta aufstand, erhob er sich gleichfalls. Und wenn Kunta keine Antwort auf seine Fragen wußte, wechselte er schnell das Thema.
Kunta wartete dann stets, bis Lamin außer Hörweite war, und erfragte die Antwort auf Lamins Fragen von den Eltern. Er sagte nicht, was ihn dazu bewog, aber die Eltern schienen es zu wissen. Sie verhielten sich jetzt überhaupt so, als wäre Kunta schon älter, als er war; das lag daran, daß er einen Teil der Verantwortung für seinen Bruder übernommen hatte. Nicht lange, und Kunta schalt Lamin in Gegenwart Bintas, wenn Lamin etwas verkehrt machte. »Du mußt deutlich sprechen«, sagte er etwa und schnalzte mit den Fingern dazu, oder er versetzte ihm eine Kopfnuß, wenn der Kleine nicht rasch genug tat, was seine Mutter ihm auftrug. Binta übersah und überhörte das.
Lamin konnte also kaum noch etwas unternehmen, wobei ihm nicht der Bruder oder die Mutter auf die Finger sah. Und wenn Kunta eine von Lamins Fragen an die Eltern weitergab, antworteten beide bereitwillig.
»Warum ist Papas Büffelfellmatte rot gefärbt? Ein Büffel ist doch nicht rot?«
»Ich habe sie selber rot gefärbt«, gab Binta zur Antwort.
»Wo wohnt Allah?«
»Allah lebt dort, von wo die Sonne kommt«, antwortete Omoro.
Kapitel 16
»Was sind Sklaven?« fragte Lamin seinen Bruder eines Nachmittags, worauf Kunta brummte und verstummte. Er ging, anscheinend in Gedanken versunken, weiter, überlegte aber scharf, wie der Bruder auf diese Frage verfallen sein mochte. Kunta wußte, daß die von den toubobs geraubten Neger Sklaven wurden, und er hatte den Gesprächen Erwachsener entnommen, daß auch einige Bewohner von Juffure Sklaven besaßen. Tatsache allerdings war, daß er nicht wußte, was Sklaven sind. Wie schon so häufig, veranlaßte Lamins Frage ihn, der Sache nachzugehen.
Als der Vater am nächsten Tag Holz für einen neuen Vorratsschuppen holen gehen wollte, bat er, mitkommen zu dürfen. Er begleitete den Vater für sein Leben gern auf solche Ausflüge. Sie sprachen unterwegs aber nicht, bevor sie bei dem kühlen Palmenhain angelangt waren!
Da fragte Kunta denn unvermittelt: »Was sind Sklaven, fa ?«
Omoro brummte bloß und ging minutenlang schweigend Maß nehmend zwischen den Palmen umher.
Endlich sagte er: »Es ist nicht immer leicht, Sklaven von denen zu unterscheiden, die keine sind.« Er schlug mit der Buchaxt gegen den Stamm, den er ausgewählt hatte, und knurrte zwischen den Schlägen, die Hütten von Sklaven würden mit nyantang jongo gedeckt, die von Freien hingegen mit nyantang foro , was, wie Kunta wußte, die beste Qualität von Flechtgras war.
»Man darf aber in Gegenwart von Sklaven niemals das Wort Sklaven aussprechen«, fuhr Omoro streng dreinblickend fort. Kunta sah nicht ein, warum, doch nickte er verständnisvoll.
Als der Baum stürzte, schlug Omoro die
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