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Wurzeln

Wurzeln

Titel: Wurzeln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Haley
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freute er sich geradezu darauf, von Lamin so sehnlich erwartet zu werden. Einmal war ihm fast so, als habe Binta gelächelt, als er zusammen mit Lamin aus der Hütte ging. Tatsächlich ermahnte Binta den Kleinen häufig: »Nimm dir ein Beispiel an Kunta!«, was nicht ausschloß, daß sie Kunta gleich darauf eine Ohrfeige gab, doch kam dies nicht mehr so oft vor wie früher. Auch drohte sie Lamin, wenn er nicht artig sei, dürfe er nicht mit seinem Bruder hinausgehen, und das reichte hin, ihn gefügig zu machen.
    Kunta und Lamin gingen jetzt stets artig und einträchtig Hand in Hand aus der Hütte, doch draußen riß Kunta sich los und eilte zu seinen kafo- Kameraden, gefolgt von Lamin, der zu den kleinen Brüdern der anderen lief. Als eines Nachmittags Lamin beim Spiel von einem Jungen des zweiten kafo umgestoßen wurde, war Kunta gleich zur Stelle, stieß den Jungen schroff beiseite und rief zornig: »Laß meinen Bruder in Ruhe!« Der Größere wollte widersprechen, es drohte bereits eine Prügelei, doch die anderen verhinderten das. Kunta nahm den weinenden Lamin bei der Hand und führte ihn weg von den verdutzten Spielkameraden. Daß er sich gegenüber dem eigenen kafo -Kameraden so sonderbar benommen hatte, erfüllte Kunta mit Staunen und Beschämung – noch dazu wegen eines schniefenden kleinen Bruders! Von diesem Tage an ahmte Lamin aber Kunta in allem nach, so gut es gehen wollte, manchmal sogar vor den Augen der Eltern. Kunta tat zwar, als wäre ihm das zuwider, in Wahrheit aber machte es ihn stolz.
    Als Lamin eines Tages von einem Baum fiel, den er zu erklettern versuchte, zeigte Kunta ihm, wie man das macht. Er brachte ihm das Ringen bei (so daß Lamin die Achtung eines Knaben gewinnen konnte, der ihn vor den kafo- Kameraden gedemütigt hatte), zeigte ihm, wie man auf zwei Fingern pfeift (Lamin schaffte es aber längst nicht so schrill wie Kunta), und er wies ihm jene Beerenblätter, aus denen seine Mutter am liebsten Tee machte. Er erklärte dem Bruder auch, daß man die glänzenden Mistkäfer, die ewig in der Hütte herumkrabbelten, sehr behutsam hinausbefördern muß, denn es bringt Unglück, sie zu beschädigen. Den Sporn eines Hahns zu berühren bringt noch größeres Unglück. Allerdings brachte er es nicht fertig, Lamin zu lehren, wie man nach dem Stand der Sonne die Zeit bestimmt. »Dazu bist du noch zu klein, das kommt später.« Manchmal, wenn es ihm so vorkam, als stelle Lamin sich besonders dumm an, schimpfte Kunta mit seinem Bruder, doch das geschah selten. Ebenso selten knuffte er ihn – nur, wenn er einmal besonders lästig war. Das machte ihm aber gleich so schwere Gewissensbisse, daß er zum Trost dem Kleinen erlaubte, seinen dundiko zu tragen, bis er sich getröstet hatte.
    Als Kunta auf diese Weise seinem Bruder näherkam, empfand er weniger stark, was ihn bisher häufig bedrückt hatte – die Kluft, die ihn mit seinen acht Regen von den älteren Knaben und den Männern des Dorfes trennte. So lange er zurückdenken konnte, war kaum ein Tag vergangen, an dem ihn nicht irgendwas darauf hingewiesen hatte, daß er noch dem zweiten kafo angehörte, daß er einer der Jungen war, die noch in der Hütte der Mutter schliefen. Die älteren Jungen, die jetzt außerhalb des Dorfes zu Männern herangebildet wurden, hatten für die Jungen des zweiten kafo nichts als Hohn und Spott gehabt, und die erwachsenen Männer, Kuntas Vater Omoro nicht ausgenommen, taten so, als wären die Jungen des zweiten kafo gerade noch zu ertragen. Was nun die Mütter anging … Kunta jedenfalls stellte sich, wenn er auf der Weide war, öfters vor, wie er die Mutter auf den Platz verweisen wollte, der ihr als Frau zukam, sobald er ein Mann geworden wäre – allerdings wollte er großmütig sein und ihr viel verzeihen, denn sie war schließlich seine Mutter.
    Kunta und seine Altersgenossen ärgerten sich jedoch am meisten über die Mädchen des zweiten kafo , die schließlich mit ihnen herangewachsen waren und die trotzdem bei jeder Gelegenheit zu erkennen gaben, daß sie sich bereits auf ihre Rolle als Ehefrauen vorbereiteten. Daß Mädchen mit vierzehn Regen oder früher heiraten durften, während Männer das erst mit dreißig oder mehr Regen taten, verdroß Kunta. Alles in allem fanden Kunta und seine Altersgenossen es als peinlich und bedrückend, dem zweiten kafo anzugehören, von den Nachmittagen abgesehen, die sie unter sich beim Ziegenhüten verbrachten, und im Falle von Kunta, daß er zu seinem Bruder Lamin eine

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