Wurzeln
forderte die Jungen auf einzutreten und brühte gleich einen Kräutertee auf.
»Wie geht es Papa und Mama?« fragte sie.
»Gut, danke der Nachfrage«, antwortete Kunta höflich. »Und auch du bist wohlauf, Großmama?«
»O ja, mir geht es gut.«
Kunta machte den Mund erst wieder auf, als der Tee vor ihm stand. Dann aber platzte es heraus: »Wie kommt es, daß du eine Sklavin bist, Großmama?«
Nyo Boto sah die beiden Knaben scharf an, und nun war sie es, die einige Minuten schwieg. Endlich sagte sie: »Ich werde es euch erzählen.«
Nyo Boto war als junge Witwe mit zwei Kindern von weißen Sklavenjägern und ihren schwarzen Helfern geraubt worden. Ihr Dorf wurde nachts überfallen und in Brand gesteckt, und wer sich aus den Flammen rettete, lief diesen Teufeln genau in die Arme. Die Alten und Kranken, die nichts wert waren, wurden auf der Stelle niedergemacht, ebenfalls die Kinder. »Meine beiden Kleinen und meine alte Mutter!« schluchzte Nyo Boto.
Die tödlich erschreckten Gefangenen wurden paarweise am Hals zusammengebunden und tagelang in mörderischer Hitze unter ständigen Schlägen über Land getrieben. Immer mehr dieser Unglücklichen starben unter den Peitschenhieben ihrer Treiber, an Durst und Erschöpfung. Wer nicht mehr weiterkonnte, den überließ man den wilden Tieren zum Fraß. Die Gefangenen kamen durch Dörfer, die ebenfalls verbrannt und zerstört worden waren; Knochen und Schädel von Tieren und Menschen, die früher hier gehaust hatten, lagen zwischen eingestürzten Lehmwänden. Weniger als die Hälfte derer, die den Marsch begonnen hatten, erreichten das Dorf Juffure, vier Tagereisen vom nächsten Handelsplatz am Kamby Bolongo entfernt, wo Sklaven verkauft wurden.
»Hier tauschte man eine junge Sklavin gegen einen Sack Maismehl«, sagte die alte Frau. »Diese Sklavin war ich, und seither heiße ich Nyo Boto«, was, wie Kunta wußte, »ein Sack Maismehl« bedeutete. Der Mann, der sie kaufte, starb bald darauf, »und seither lebe ich hier«.
Lamin rutschte aufgeregt hin und her, und Kunta empfand nun noch größere Zuneigung und Hochachtung für Nyo Boto, welche den beiden Knaben jetzt liebevoll zulächelte, deren Eltern sie bereits auf den Knien gewiegt hatte.
»Euer Papa Omoro war im ersten kafo , als ich nach Juffure kam«, sagte Nyo Boto und blickte Kunta dabei scharf an. »Seine Mutter Yaisa, eure Großmutter, war meine liebe Freundin. Erinnerst du dich an sie?« Kunta bejahte und fügte stolz hinzu, er habe seinem Bruder bereits ausführlich von ihr erzählt.
»Sehr gut«, lobte Nyo Boto. »Jetzt muß ich mich aber wieder an die Arbeit machen. Lauft, ihr zwei.«
Kunta und Lamin dankten artig für den Tee und gingen tief in Gedanken zur Hütte der Mutter. Am nächsten Nachmittag erwartete Lamin seinen Bruder nach dem Ziegenhüten schon mit einem Sack voller Fragen. Ob es auch in Juffure schon einmal so schlimm gebrannt habe? Kunta sagte, er habe nie etwas Derartiges erzählen hören, und im Dorf selber sei nichts davon zu bemerken. Ob Kunta jemals weiße Menschen zu Augen gekommen seien? »Selbstverständlich nicht!« Der Vater habe allerdings erzählt, daß er und seine Brüder einmal auf dem Fluß Schiffe der toubobs gesehen hatten.
Kunta wechselte rasch das Thema, denn von den toubobs wußte er so gut wie nichts, und er wollte erst in Ruhe allein über sie nachdenken. Er hätte gar zu gerne einmal einen gesehen, aus sicherer Entfernung, versteht sich, denn aus dem, was er über sie gehört hatte, mußte er schließen, daß man gut daran tat, sich von ihnen fernzuhalten.
Erst vor kurzem war ein Mädchen verschwunden, das Kräuter sammeln gegangen war, und zwei erwachsene Jäger waren ebenfalls ausgeblieben. Keiner zweifelte, daß die toubobs sie geraubt hatten. Kunta hatte mehrmals erlebt, daß bei der von den Trommeln angekündigten Gefahr der Annäherung von toubobs die Männer Wachposten aufstellten und die Frauen sich samt den Kindern tagelang weit vom Dorf entfernt im Busch verbargen, bis man annehmen durfte, daß die Gefahr vorüber war.
Er mußte daran denken, wie er einmal beim Ziegenhüten ganz zufällig aufgeblickt und im Baum über sich ein ganzes Dutzend Affen mucksmäuschenstill auf einem Ast hatte sitzen und durch die dichten Blätter auf ihn hinunterstarren sehen. Bislang hatte er geglaubt, Affen tollten unentwegt lärmend umher, doch nun sah er, daß sie lautlos und stockstill jede seiner Bewegungen beobachteten. So hätte auch er einmal hoch in einem Baum
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