Wurzeln
handelte es sich da meist ums Wetter. Die Alten erinnerten sich verheerender Dürren, die nicht nur sämtliche Pflanzen getötet, sondern auch das Wasser hatten versiegen lassen, so daß die Menschen getrockneten Kürbisschalen glichen. Die jetzige Trockenzeit sei schlimm, aber sie hätten schon schlimmere erlebt. Kunta kam es vor, als hätten alte Leute immer schon Schlimmeres erlebt, es mochte sein, was es wollte.
Eines Tages dann war es allerdings, als atme man glühende Luft ein, und in der Nacht zitterten alle vor Kälte. Tags darauf kam man wiederum kaum zu Atem und wischte dauernd den Schweiß von der Stirn, und am Nachmittag erhob sich der harmattan. Das war kein Sturm, er blies nicht besonders heftig, was eine gewisse Erleichterung gebracht hätte, nein, der harmattan wehte sanft und stetig, staubig und trocken fast einen halben Monat lang. Wie immer belastete der harmattan in zunehmendem Maße die Nerven der Bewohner von Juffure, Eltern schimpften häufiger als üblich mit den Kindern, prügelten sie grundlos. Die Mandinkas hänselten einander gewohnheitsmäßig, jetzt aber konnte man nicht mehr von Hänseln sprechen, es kam vielmehr fortgesetzt zu schwerem Streit zwischen Erwachsenen, vor allem zwischen jungen Paaren wie Binta und Omoro. Die Nachbarn kamen herbei, um zuzusehen, wie die Schwiegermütter den Streit schlichteten, doch meist wurde das Geschrei davon nur ärger, und man sah dann wohl, wie das gesamte Mobiliar der Hütte samt allem herumstehenden Kleinzeug zur Tür hinausgeworfen wurde, gefolgt endlich von der Hausfrau, die sich wütend am Arm der Mutter in Richtung der elterlichen Hütte entfernte.
Nach etwa zwei Monden legte der harmattan sich so plötzlich, wie er begonnen hatte zu blasen, die Luft wurde still, der Himmel wieder klar. Innerhalb einer einzigen Nacht kehrte eine ganze Korona von Ehefrauen zu ihren Männern zurück, die Schwiegermütter tauschten Geschenke aus, überall im Dorf wurde der Streit begraben. Und doch war die Trockenzeit von fünf Monden erst halb vorüber. In den Vorratskammern lag zwar reichlich Nahrung, doch wurde sehr sparsam gekocht, denn nicht einmal die nimmersatten Kinder hatten Appetit. Die Sonne hatte allen die Kraft ausgesogen, man redete nur das Nötigste und tat nicht mehr als unbedingt erforderlich.
Das Fell der mageren Kühe zeigte zahllose Schrunden, wo Stechfliegen ihre Eier abgelegt hatten. Die Hühner, die sonst ständig gackerten, lagen mit aufgesperrtem Schnabel und ausgebreiteten Flügeln seitlings im Staub, und sogar von den Affen hörte und sah man kaum noch was, denn die hatten sich in den Schatten des Waldes geflüchtet. Und die Ziegen fraßen kaum noch, sie waren mager und unruhig, wie Kunta bemerkte.
Aus irgendwelchen Gründen – vielleicht der Hitze wegen, vielleicht auch, weil sie älter geworden waren – sonderten die Kameraden, die doch bis dahin stets zusammengesteckt hatten, sich voneinander ab, und jeder blieb mit seinen Tieren mehr für sich. Das war schon mehrmals geschehen, bevor Kunta bewußt wurde, daß er nie zuvor längere Zeit hintereinander einmal ganz mit sich allein und nicht in Gesellschaft anderer gewesen war. Er hielt nach den anderen Ausschau, die sich einzeln mit ihren Tieren über eine weite Fläche verstreut hatten. Weiter entfernt sah er die Felder, auf denen Männer das Unkraut jäteten, das seit der letzten Ernte nachgewachsen war. Die aufgehäuften Kräuter wirkten in der flirrenden Hitze geradezu berghoch.
Kunta wischte den Schweiß von der Stirn, und ihm kam dabei der Gedanke, daß seine Leute doch, recht betrachtet, eine Plage nach der anderen zu erdulden hätten. Immer hatten sie sich mit Unbequemlichkeiten, wenn nicht Schwierigkeiten herumzuschlagen, mit Beängstigendem oder gar Lebensbedrohendem. Er gedachte der glühendheißen Tage und der scheußlich kalten Nächte, die auf diese folgten, der Regen, die als nächstes zu erwarten waren, die das Dorf in ein Schlammbad verwandelten, bis man schließlich dorthin, wo man sonst zu gehen pflegte, nur noch mit dem Kanu gelangen konnte. Der Regen war ebenso notwendig wie die Sonne, doch immer war es von allem entweder zuviel oder zuwenig. Waren die Ziegen fett und die Bäume voller Früchte und Blüten, bedeutete dies doch zugleich, daß die Vorräte von der letzten Ernte zu Ende gingen und die Hungerzeit begann, in der manche starben, wie etwa seine Großmama Yaisa, an die er sich noch gut erinnerte.
Der Erntemond war eine glückliche Zeit, besonders
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