Wurzeln
zähen Palmwedel ab. Kunta pflückte die reifen Früchte und merkte dabei deutlich, daß sein Vater heute zum Sprechen aufgelegt war. Er würde also demnächst Lamin genau erklären können, was es mit den Sklaven auf sich hatte. »Warum sind manche Menschen Sklaven, andere aber nicht?« fragte er.
Omoro erklärte, man könne auf verschiedene Weise zum Sklaven werden. Manche würden von Sklavinnen geboren, und er erwähnte die Namen mehrerer Bewohner von Juffure, die Kunta kannte. Manche waren die Eltern von kafo -Kameraden. Andere, fuhr Omoro fort, hätten sich in Zeiten der Hungersnot den Bewohnern von Juffure als Sklaven angeboten, wenn man sie nur durchfüttern wolle. Wieder andere – und er nannte die Namen älterer Einwohner – seien ehemals Feinde gewesen und gefangengenommen worden.
»Wer nicht tapfer genug ist, im Kampf lieber den Tod als die Sklaverei zu wählen, der wird Sklave.«
Er hatte unterdessen den Stamm der Palme in Teile zerlegt, die ein einzelner Mann tragen konnte. Alle, die er erwähnt habe, setzte er nun hinzu, seien zwar Sklaven, aber sie genössen die allgemeine Achtung, wie Kunta wohl wisse. »Sie haben Rechte, die ihnen durch das Gesetz unserer Vorfahren verbürgt sind.« Und Omoro erklärte, daß der Herr seine Sklaven mit Nahrung und Obdach, einem Ehepartner und einem Stück Land versorgen müsse, dessen Ertrag zur Hälfte dem Sklaven gehöre.
»Verachtet werden nur die, die sich verächtlich machen«, sagte er zu seinem Sohn, also solche, die wegen Mordes, Diebstahls oder anderer Vergehen zu Sklaven gemacht würden. Nur diese Sorte Sklaven durften von ihren Herren geschlagen oder anderweitig bestraft werden, wie es der Herr für richtig hielt.
»Müssen sie denn aber immer Sklaven bleiben?« fragte Kunta.
»Nein. Viele Sklaven kaufen sich frei mit den Einkünften aus der Arbeit auf ihrem Stück Land.« Omoro nannte einige beim Namen, die das getan hatten. Er nannte auch die Namen anderer, die frei geworden waren durch Einheirat in die Familie ihrer Besitzer.
Omoro fertigte aus Lianen eine starke Schlinge an, um das Holz darin zu tragen, und sagte bei der Arbeit, manche Sklaven wären wohlhabender als ihre Herren. Manche hielten selber Sklaven, und wieder andere seien sogar berühmt geworden.
»So einer war Sundiata!« rief Kunta. Die Großmütter und die griots erzählten oft von dem großen Sklavengeneral, der vor Zeiten mit seiner Armee viele Feinde besiegt hatte.
Omoro brummte und nickte, augenscheinlich erfreut darüber, daß Kunta Bescheid wußte, denn Omoro hatte in Kuntas Alter ebenfalls von Sundiata berichten hören. »Und wer war Sundiatas Mutter?« prüfte er seinen Sohn.
»Sogolon, die Büffelfrau!« sagte Kunta stolz.
Omoro lächelte. Er lud sich zwei Teile des Stammes auf und trat den Rückmarsch an. Kunta kaute am Fleisch seiner Kokosnuß, und Omoro erzählte ihm auf dem Rückweg, wie das große Reich der Mandinka von dem verkrüppelten, aber gewaltigen Sklavengeneral erobert worden war, der seine Soldaten anfangs aus den Sümpfen und sonstigen Verstecken zusammengelesen hatte, wo sie sich verborgen hielten.
»Wenn du auf die Mannbarkeit vorbereitet wirst, erfährst du noch sehr viel mehr über ihn«, sagte Omoro, und der Gedanke an diese Prüfung erfüllte Kunta nicht mehr nur mit Angst, sondern auch mit Erwartung.
Omoro sagte noch, Sundiata sei einem verhaßten Herrn entlaufen, was die meisten Sklaven versuchten, die ihre Herren nicht leiden könnten. Übrigens dürften Sklaven nur mit ihrer Einwilligung an neue Herren verkauft werden, ausgenommen die überführten Verbrecher.
»Großmutter Nyo Boto ist ebenfalls eine Sklavin«, sagte Omoro, und Kunta hätte sich fast verschluckt an seiner Kokosnuß. Dies begriff er nun gar nicht mehr. Er sah die liebe alte Nyo Boto vor ihrer Hütte kauern, das gute Dutzend nackter Kleinkinder beaufsichtigen, Körbe und Perücken flechten und immer mal wieder eine bissige Bemerkung über vorbeikommende Erwachsene machen – nicht einmal die Ältesten verschonte sie, wenn ihr gerade danach zumute war. Die ist doch bestimmt keine Sklavin! dachte er.
Als Kunta am folgenden Nachmittag seine Geißen heimgeführt hatte, nahm er Lamin bei der Hand und ging mit ihm auf Umwegen zur Hütte von Nyo Boto. Die alte Frau spürte wohl, daß Besuch gekommen war, denn sie trat gleich darauf aus der Hütte. Ein Blick auf Kunta, seit je einer ihrer besonderen Lieblinge, sagte ihr, daß es sich um eine wichtige Angelegenheit handelte. Sie
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