Wurzeln
wie man einen Arzt erreichen konnte, und »da blieb uns nichts weiter übrig wie warten«, erzählten sie ihm. Matilda begann wieder zu weinen, und George legte seine Hand auf ihre.
»Sie heult, weil Mingo schon tot war, als wir es der Missis gesagt haben und in Pompeys Hütte zurückgingen«, sagte Kizzy. »Man brauchte bloß hinzugucken!« Jetzt begann auch sie zu schluchzen. »Die arme alte Seele ist ganz allein gestorben.«
Matilda berichtete, Missis Lea hätte bloß geschrien: »Ich weiß nicht, was ich mit toten Leuten anfangen soll!« – »Der Masser hat ihr mal gesagt, sie verfaulen, wenn man sie länger als einen Tag liegen läßt. Aber es würde bestimmt länger dauern, bis ihr zurück seid, und wir sollen ein großes Loch graben, wo er rein paßt –«
»Unter der Weide da ist die Erde ziemlich weich«, fiel Kizzy ein. »Wir haben also die Schaufel genommen, und Pompey und wir Frauen haben gegraben und gegraben, einer nach dem andern, bis das Loch für ihn groß genug war. Dann sind wir hierher zurückgekommen, und Pompey hat ihn gewaschen.«
»Er hat ihn erst mit Glyzerin eingerieben, was Miss Malizy von der Missy bekommen hat«, sagte Matilda, »und dann haben wir ein bißchen von dem Parfüm auf ihn gegossen, was du mir letztes Jahr mitgebracht hast.«
»Es war nichts Anständiges anzuziehn da für ihn«, fuhr Kizzy fort. »Was er anhatte, stank zu sehr, und was der kleine Pompey hatte, war viel zu eng, da haben wir ihn einfach in zwei Laken eingerollt.« Onkel Pompey hatte zwei grüne Weidenzweige zurechtgeschnitten, die Frauen ein paar alte Bretter zusammengesucht, um eine Bahre daraus zu fertigen. »Muß allerdings für die Missis sagen«, sagte Matilda, »daß sie mit ihrer Bibel angelaufen kam, als wir ihn zu dem Loch brachten. Und wie wir ihn da reingelegt hatten, hat sie einen Psalm vorgelesen, und dann hab ich gebetet und den lieben Herrgott gebeten, Mister Mingos Seele zu sich zu nehmen.« Sie hatten den Toten in das Grab gelegt und es zugedeckt.
»Wir haben das Beste getan, was möglich war!« beteuerte Matilda, und als sie das entsetzte Gesicht ihres Mannes sah: »Kannst ruhig böse sein!«
Er ergriff ihre Hand, drückte sie fest an sich und stieß hervor: »Niemand ist böse.« Er war von seinen Gefühlen so überwältigt, daß er seinen Kummer wegen seines verspäteten Eintreffens nicht in Worte zu fassen vermochte. Vielleicht hätten sie doch irgendwas tun können, um ihn zu retten.
Ein wenig später trat er aus seiner Hütte und dachte an das Mitgefühl, die Sorge und selbst die Liebe, die all jene Onkel Mingo entgegengebracht hatten, die stets behaupteten, daß sie ihn nicht mochten. Er erblickte Onkel Pompey, ging auf ihn zu und schüttelte ihm die Hände. Pompey, der fast so alt war wie Onkel Mingo, berichtete, er komme eben von den Hühnergehegen, wo Virgil die Tiere überwachte. »Das ist ein guter Junge, den du da hast. Ein guter Junge!«
Sie verabschiedeten sich, und George ging langsam auf die Weide zu. Er brauchte eine Weile, bevor er es über sich brachte, einen Blick auf die frisch aufgeworfene Erde zu tun. Er bewegte sich wie in einem Taumel, las ein paar Steine auf und ordnete sie um das Grab herum an. Er fühlte sich unwürdig.
Dann nahm er den Weg durch ein stoppeliges Maisfeld zum Hahnengrund.
»Hast ganze Arbeit geleistet, mein Junge. Aber jetzt geh mal lieber zu deiner Mammy zurück«, sagte er und gab Virgil einen Klaps. Der Junge war von diesem ersten Kompliment tief beeindruckt. Als er gegangen war, setzte sich George hin und starrte ins Leere. Er dachte an die letzten fünfzehn Jahre, lauschte im Geist den Worten seines Lehrers und Freundes – des Mannes, der für ihn fast wie ein Vater gewesen war. Er glaubte, seine rauhe, befehlende Stimme wieder zu vernehmen, die immer dann sanfter wurde, wenn sie vom Hahnenkampf sprachen, und auch die bitteren Klagen, weil er sich zurückgesetzt fühlte: »Traust du und der Masser mir wenigstens zu, daß ich die Hühner füttere, wenn ihr weg seid?« George wurde von Reue ergriffen.
Dann fragte er sich: Woher kam Onkel Mingo, bevor Masser Lea ihn gekauft hatte? Wo war seine Familie? Er hatte nie darüber gesprochen. Hatte er irgendwo eine Frau und Kinder? George hatte Onkel Mingo nähergestanden als irgendeiner auf der Welt, und doch wußte er so wenig über den Mann, der ihn fast alles gelehrt hatte.
Hühner-George verfiel ins Grübeln: Wo war er jetzt wohl, der liebe alte Gefährte, mit dem er jeden Zoll seiner
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