Wurzeln
abbringen, stets ihn für alles verantwortlich zu machen.
Endlich bogen die beiden Wagen von der großen Straße ab, den Zufahrtsweg hinunter. Sie waren schon fast zu Hause, als George zu seinem Erstaunen Missis Lea die Stufen der Veranda heruntereilen sah. Einen Augenblick später trat Miss Malizy aus der Hintertür. Und dann kamen Matilda und seine Söhne, Mammy Kizzy, Schwester Sarah und Onkel Pompey aus ihren Hütten gestürzt. Was hatten sie hier an einem Donnerstagnachmittag zu schaffen, wo sie doch draußen in den Feldern sein sollten, fragte sich George. Waren sie so erpicht darauf, den schönen neuen Wagen in Augenschein zu nehmen, daß sie bereit waren, dafür den Zorn des Masser auf sich zu laden? Aber dann sah er ihre Gesichter und wußte sofort, daß keiner von ihnen sich um den neuen Wagen scherte. Als Missis Lea dem Wagen des Masser entgegenlief, zog George die Bremse an und lehnte sich weit über den Kutschbock, um besser zu verstehen, was sie und der Masser miteinander sprachen. Er beobachtete, wie der Masser zusammenzuckte und die Missis ins Haus zurücklief. Und dann sah der bestürzte George Masser Lea von seinem neuen Wagen steigen und mit langsamen, schweren Schritten auf sich zukommen. Sein Gesicht wirkte bleich und bekümmert – und plötzlich wußte George alles! Die Worte des Masser erreichten ihn wie aus weiter Ferne: »Mingo ist tot.« George ließ sich gegen den Kutschsitz fallen und heulte los, wie er es nie zuvor getan hatte. Er spürte kaum, daß der Masser und Onkel Pompey ihn fast mit Gewalt vom Wagen zerrten. Dann geleiteten Pompey und Matilda ihn mit all den anderen ins Sklavenquartier zurück, und sie begannen aufs neue zu weinen, als sie seinen Kummer sahen. Matilda brachte ihn in die Hütte, und Kizzy folgte ihnen mit dem Baby. Als er sich ein wenig beruhigt hatte, erzählten sie ihm, was geschehen war. »Ihr seid Montag früh abgefahren«, sagte Matilda, »und in der Nacht hat keiner von uns so recht geschlafen. Scheint, als ob wir alle am Dienstagmorgen mit so ’m komischen Gefühl aufgewacht sind, wie wenn wir ’ne Menge unkende Eulen und bellende Hunde gehört hätten. Und dann kam das Geschrei –«
»Das war Malizy!« fiel Kizzy ein. »Jesses, hat die gebrüllt! Wir sind alle rausgerannt, ihr hinterher, wo sie hingegangen war, die Schweine zu füttern. Und da war er. Da lag die arme alte Seele mitten auf der Straße und sah aus wie ein Haufen Lumpen!«
»Er lebte noch«, sagte Matilda, »aber er konnte nur noch den halben Mund bewegen. Hab mich hingekniet und grade noch gehört, was er vor sich hin geflüstert hat. Ich glaub, ich hab ’n Schlaganfall, hat er gesagt. Hilf mir mit den Hühnern – – – ich schaff’s nicht –«
»Jesus, erbarm dich. Wir wußten gar nicht, was anfangen«, sagte Kizzy, »aber dann kam Onkel Pompey und hat versucht, ihn hochzuheben. Erst konnt er’s nicht, aber zu dritt haben wir’s geschafft und Onkel Mingo ins Sklavenquartier zurückgebracht und in Pompeys Bett gelegt.«
»George, er stank so scheußlich mit dem kranken Geruch, den er an sich hatte«, sagte Matilda. »Zuerst haben wir ihm ein bißchen frische Luft zugefächelt, aber er flüsterte nur immer wieder ›die Hühner, die Hühner – – – muß zurück –‹«
»In der Zwischenzeit ist Miss Malizy zur Missis gerannt«, sagte Kizzy, »die hat vielleicht die Hände gerungen und geheult und was aufgeführt! Aber nicht etwa wegen Bruder Mingo! Nicht die Spur! Geschrien hat sie, daß sofort jemand die Hühner versorgen soll, weil der Masser sonst ’n Wutanfall kriegt! Da hat Matilda den kleinen Virgil geholt –«
»Ich wollt’s ja eigentlich nicht«, sagte Matilda. »Du weißt ja, wie ich drüber denke. Reicht ja, wenn einer von uns sich um die Hühner da kümmert. Außerdem hab ich ja gehört, wie du was von streunenden Kötern und Füchsen und Wildkatzen erzählt hast, die immer versuchen, die Vögel aufzufressen! Aber der Kleine hatte Mut, Gott sei Dank! Er hat erschreckte Augen gemacht, aber dann gesagt: ›Mammy, ich geh, ich weiß nur nicht, was ich da machen muß.‹ Onkel Pompey hat ihm einen Sack Mais gegeben und gesagt: ›Du schmeißt bloß ’ne Handvoll von dem Zeugs überall hin, wo du ’n Huhn siehst, ich komm dann nach, sowie ich kann –‹«
Es gab keine Möglichkeit, ihn und den Masser zu erreichen, und Schwester Sarah meinte, Onkel Mingo sei so weit, daß ihre Kräuter ihm auch nicht mehr helfen könnten, und nicht einmal die Missis wußte,
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