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Wurzeln

Wurzeln

Titel: Wurzeln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Haley
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hole, dann hab ich grad lang genug Zeit, ihm beizubringen, wie man die Vögel füttert, wenn ich weg bin, und wie er mir bei den Übungen in der Kampfsaison helfen kann. Die übrige Zeit und den größten Teil des Jahres kann er ja dann mit euch auf den Feldern sein.« Als er Matildas abweisendes Gesicht sah, zuckte er mit den Schultern und sagte scheinbar resigniert: »Na schön, ich überlaß es dir und dem Masser, wenn dir das lieber ist!«
    »Was mich nur fuchst, ist, daß du daherredest, als ob Virgil schon erwachsen wär«, sagte Matilda. »Ist dir denn nicht klar, daß der Junge erst sechs ist? Halb so alt wie du, als sie dich da reingezerrt haben.« Sie stockte. »Ich weiß ja, daß er arbeiten muß, jetzt, wo er sechs ist. Da kann ich nichts machen und muß tun, wie du sagst, aber ich krieg doch die Wut, wenn ich dran denke, wie diese Hühner dich von mir weggelockt haben!«
    »Da hör sich einer an, was du und Mammy verzapft! Klingt ja grad so, als ob die Hühner mich geschnappt und irgendwo übers Meer gebracht hätten!«
    »Ist auch grad so die meiste Zeit, wenn du weg bist.«
    »Weg! – Wer sitzt denn hier und redet? Wer war denn diesen Monat jeden Tag hier?«
    »Vielleicht diesen Monat, aber wer weiß, wo du bald wieder sein wirst?«
    »Wenn du von der Kampfsaison redest, dann werd ich überall da sein, wo der Masser mir sagt, daß ich sein soll. Wenn du aber von jetzt redest, dann werd ich gleich nach dem Essen nicht warten, bis die Würmer die Hühner aufgefressen haben, denn sonst wär ich wirklich weg!«
    »Aha! Jetzt gibst du’s endlich zu, daß er dich auch verkaufen kann!«
    »Da wird er eher die Missis verkaufen, die läßt nämlich seine Hühner schlachten und aufessen!«
    »Na schön, George, ich kann’s nicht mehr hören«, sagte Matilda und stellte die dampfende Schüssel auf den Tisch. »Iß und dann geh eben gleich zurück, ich schick dir den Virgil morgen früh nach. Oder willst du ihn jetzt schon mitnehmen? Ich kann ihn ja holen, er ist bei der Oma.«
    »Nein, morgen ist schon gut.«
    Aber nach einer Woche war es Hühner-George klar, daß es seinem ältesten Sohn völlig an der Begeisterung mangelte, die er selber als kleiner Junge im Umgang mit den Kampfhähnen verspürt hatte. Er war zwar erst sechs Jahre alt, aber es schien George dennoch unfaßbar, daß Virgil nach getaner Arbeit einfach weggehen und irgendwo alleine spielen oder sich tatenlos hinsetzen konnte. Wenn er ihm dann ärgerlich zurief: »Stehst du wohl auf! Was fällt dir ein? Das ist hier kein Schweinestall mit Schweinen, das sind Kampfhähne!«, sprang Virgil zwar eiligst auf und verrichtete jede ihm zugewiesene Arbeit zur Zufriedenheit, aber danach setzte er sich gleich wieder hin oder ging fort zum Spielen. Hühner-George erinnerte sich wütend, wie er als kleiner Junge all seine freie Zeit bei den Jungtieren und den Hühnen verbracht, Grashüpfer gefangen und sie ihnen zum Fressen gegeben hatte und wie unglaublich aufregend er das alles gefunden hatte.
    Onkel Mingos Methode war kühl und geschäftsmäßig gewesen – ein Befehl, ein aufmerksames Schweigen, ein weiterer Befehl –, aber George entschloß sich nun, die Sache anders anzupacken, um Virgils Interesse zu wecken. Er würde mit ihm reden.
    »Was hast du bis jetzt denn so getrieben?«
    »Nichts, Pappy.«
    »Na, seid ihr Kleinen auch artig und gehorcht Mammy und Oma?«
    »Ja, Pappy.«
    »Kriegst du auch gut zu essen, hm?«
    »Ja, Pappy.«
    »Was ißt du denn am liebsten?«
    »Alles, was Mammy kocht, Pappy.«
    Der Junge schien überhaupt keine Phantasie zu haben. Man mußte es anders versuchen. »Laß mich mal die Geschichte von deinem Urgroßpapa hören, wie du sie mal erzählt hast.«
    Virgil gehorchte, aber er sagte seine Geschichte recht hölzern auf. George fühlte sein Herz sinken. Virgil stand eine Weile gedankenvoll da und fragte dann: »Pappy, hast du mal meinen Urgroßpappy gesehn?«
    »Nein, hab ich nicht«, sagte er erwartungsvoll. »Ich weiß grad soviel von ihm wie du von der Oma.«
    »Sie ist mit ihm im Einspänner gefahren.«
    »’türlich! Er war ja ihr Pappy. Und eines Tages wirst du deinen Kindern erzählen, wie du hier mit deinem Pappy bei den Hühnern gesessen hast.«
    Das schien Virgil zu verwirren, denn er verfiel in Schweigen. George versuchte es noch ein paarmal, aber dann gab er es auf und hoffte, daß er mit Ashford, George und Tom mehr Glück haben würde. Er erzählte niemandem, daß Virgil ihn enttäuscht hatte, und beschloß

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