Wurzeln
nicht stimmt! Und glaub nur ja nicht, daß wir dich nicht liebhaben. Ich glaub, du weißt manchmal nicht recht, wer du bist, und manchmal auch nicht, wer wir sind. Wir sind dein Blut, grad wie der Urgroßvater von den Kleinen hier.«
»Es steht schon in der Bibel«, sagte Matilda, und als sie Georges betroffenes Gesicht sah, fügte sie hinzu: »Es steht nicht bloß was von Strafen in der Bibel. Es ist auch viel über Liebe drin.«
Hühner-George war zutiefst gerührt und schob einen Stuhl an den Kamin. Die drei Jungens setzten sich zu seinen Füßen, ihre Augen glänzten in freudiger Erwartung, und Kizzy reichte ihm das Baby. Er faßte sich, räusperte sich und begann, seinen vier Söhnen Großmutters Geschichte von ihrem Urgroßpapa zu erzählen.
»Pappy, ich kenn die Geschichte auch!« unterbrach ihn Virgil triumphierend. Er schnitt seinen jüngeren Brüdern eine Grimasse, und dann erzählte er alles noch einmal selbst – einschließlich sogar der afrikanischen Wörter.
»Er hat’s ja schon dreimal von dir gehört, und Oma kommt nie ins Haus, ohne es noch mal zu erzählen«, sagte Matilda lachend, und George fragte sich, wie lange er seine Frau schon nicht mehr lachen gehört hatte. Virgil wollte die Aufmerksamkeit wieder auf sich lenken und hopste herum. »Oma sagt, wegen dem Afrikaner wissen wir, wer wir sind.«
»Das ist auch wahr!« sagte Großmutter Kizzy strahlend.
Zum erstenmal seit langem hatte Hühner-George wieder das Gefühl, in seiner Hütte wirklich daheim zu sein.
Kapitel 98
Mit einer Verspätung von vier Wochen war der neue Wagen endlich fertig geworden und stand in Greensboro zum Abholen bereit. Der Masser hatte wieder einmal recht gehabt, als er ihn sich bauen ließ, fand Hühner-George auf der Hinfahrt, denn jetzt würden sie nicht knarrend und quietschend in der alten Karre in New Orleans aufkreuzen, sondern in dem feinsten Wagen eintreffen, den man für Geld kaufen konnte – so daß sie auch wirklich wie ein großer Hühnerzüchter und sein Heger aussahen. Aus dem gleichen Grunde wollte er sich vom Masser anderthalb Dollar ausborgen, bevor sie wieder aus Greensboorro abfuhren, um sich einen neuen schwarzen Hut zu kaufen, der zu dem grünen Schal, den Matilda fast fertiggestrickt hatte, passen würde. Er wollte auch dafür sorgen, daß Matilda seinen grünen und seinen gelben Anzug, seine grobgewebten besten roten Hosenträger, viele Hemden, Unterhosen, Socken und Handtücher einpackte, denn nach den Hahnenkämpfen mußte er doch nach etwas aussehen, wenn er auf seinen Stadtbummel ging. Kurz nach der Ankunft bei der Werkstatt des Wagenmachers hörte George, der draußen wartete, heftigen Streit hinter der verschlossenen Tür. Er kannte den Masser lange genug, um auf derartiges gefaßt zu sein, und war daher nicht weiter neugierig. Ohnehin war er viel zu sehr mit dem Gedanken an alles, was vor ihrer Abfahrt zu Hause noch zu erledigen war, beschäftigt. Das Schwierigste würde seines Erachtens das Auswählen von sieben Hähnen unter den neunzehn Prachtexemplaren sein, die er bereits bis zu höchster Kampfbereitschaft trainiert hatte. Im Wagen konnte man nur ein Dutzend unterbringen, und bei der Auswahl konnte er sich nicht nur auf sein Urteil und das des Masser verlassen, sondern mußte auch Onkel Mingo zu Rate ziehen, der inzwischen wieder auf den Beinen und so essigsauer und scharfzüngig wie eh und je war.
Die Stimme Masser Leas schwoll in der Werkstatt bedrohlich an: Die unentschuldbare Verzögerung bei der Fertigung des Wagens hatte ihn Geld gekostet, das nun vom Preis abgezogen werden sollte. Der Wagenmacher schrie zurück, er habe bei der Arbeit alle mögliche Eile walten lassen, und eigentlich hätte er einen höheren Preis verlangen sollen, denn die Materialkosten waren wegen der unverschämten Lohnforderungen der freien schwarzen Arbeitskräfte gestiegen. Hühner-George, der nun doch zuhörte, nahm an, der Masser sei in Wirklichkeit gar nicht so wütend, wie es den Anschein hatte, sondern versuchte nur, aus seinem Streit mit dem Wagenbauer wenigstens ein paar Dollar herauszuschinden.
Nach einer Weile mußten sie da drinnen wohl zu einer Einigung gekommen sein, denn der Streit schien beendet, und bald darauf kamen Masser Lea und der Wagenbauer heraus, zwar mit noch roten Gesichtern, aber sie sprachen und benahmen sich wieder freundlich. Der Wagenbauer rief seinen Leuten in der Werkstatt eine Weisung zu, und gleich darauf zogen vier Schwarze das Prachtstück auf den Hof. Das
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