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Wurzeln

Wurzeln

Titel: Wurzeln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Haley
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mit Bedauern, den Jungen nur mit provisorischen Aufgaben zu beschäftigen, wie er es Matilda zugesagt hatte, anstatt sich vergeblich zu bemühen, ihn zu einem richtigen Kampfhahnheger auszubilden, wie er es sich ursprünglich vorgenommen hatte.
    So betrachtete Hühner-George Virgils Arbeit als beendet, sowie er dreimal täglich die Tiere in ihren Käfigen mit Futter und Trinkwasser versorgt hatte, und schickte ihn zu Matilda zurück, damit er ihr bei der Feldarbeit helfen konnte, die ihm sehr zuzusagen schien. Hühner-George hätte es Matilda, Kizzy und den anderen gegenüber niemals offen zugegeben, aber die Feldarbeit erschien ihm als etwas Verächtliches, er sah in ihr einzig und allein eine endlose Plackerei mit der Hacke unter heißer Sonne, ein Schleppen von Baumwollsäcken, ein endloses Auslesen von Tabakwürmern und Zerhacken von Maiskolben zu Viehfutter. Schmunzelnd entsann er sich der Worte Onkel Mingos: »Wenn ich wählen soll zwischen ’nem Baumwollfeld oder ’nem guten Kampfhahn, nehm ich allemal den Hahn!« Wie aufregend war allein schon das Ansagen der Kämpfe, ob sie nun im Wald, auf einer Weide oder hinter der Scheune stattfanden, und wie lud sich die Luft mit Spannung auf, wenn die Züchter mit ihren zu Sieg oder Tod entschlossenen Tieren antraten.
    In der sommerlichen Zwischensaison, in der die Kampfhähne sich mauserten, fiel nur Routinearbeit an. Hühner-George gewöhnte sich allmählich an das Alleinsein und sprach nur noch mit den Hühnern – besonders mit dem Kampfveteranen, der schon Onkel Mingos Lieblingstier war.
    »Hättst uns wenigstens sagen können, wie krank der alte glasäugige Teufel war«, beschimpfte er den Vogel, der eine Sekunde lang seinen Hals emporstreckte, als wisse er, daß man mit ihm redete, um gleich darauf wieder hungrig auf dem Boden seines Käfigs herumzuscharren. »Hör mir mal zu«, sagte George gespielt mürrisch. »Hättst doch wissen müssen, daß es schlimm um ihn stand.« Eine Weile schaute er dem scharrenden Hahn zu. »Na, ich denk, du weißt Bescheid, daß er jetzt weg ist. Frag mich nur, ob dir der Alte genauso fehlt wie mir.« Der alte Hahn jedoch schien niemanden auf der Welt zu vermissen, und schließlich scheuchte Hühner-George ihn mit einem wohlgezielten Kieselstein davon.
    In etwa einem Jahr, überlegte George, wird der alte Vogel wahrscheinlich Onkel Mingo in jene Gefilde folgen, wo die Hahnenbetreuer und ihre Tiere hingehen, wenn ihre Zeit gekommen ist. Er fragte sich, was wohl aus dem ersten Vogel des Masser geworden war – jenem Kampfhahn, auf den man 25-Cents-Wetten gesetzt und mit dem er vor vierzig Jahren seine Laufbahn begonnen hatte. Ob ihn schließlich doch einer seiner Gegner umgebracht hatte? Oder war er wie ein würdiger Kampfhahn an Altersschwäche gestorben? Warum hatte er sich nie bei Onkel Mingo danach erkundigt? Er mußte einmal den Masser fragen. Schon vierzig Jahre waren vergangen! Der Masser hatte ihm erzählt, er sei gerade siebzehn gewesen, als er den Vogel gewonnen habe. Demnach müßte er jetzt sechsundfünfzig oder siebenundfünfzig sein – dreißig Jahre älter als Hühner-George. Er dachte an den Masser, dem Menschen und Hühner ihr Leben lang gehörten, versank darüber in Grübelei und fragte sich, wie es wohl sein mochte, wenn man niemandem gehörte. Was mochte das für ein Gefühl sein, wenn man »frei« war? Gewiß war das nichts Gutes, sonst würden Masser Lea und die meisten Weißen die freien Schwarzen nicht so hassen. Aber dann erinnerte er sich an die Worte einer freien schwarzen Frau, die ihm in Greensboro hausgebrannten Schnaps verkauft hatte: »Jeder von uns Freien liefert euch Plantagenniggern den lebendigen Beweis, daß ein Nigger nicht unbedingt ein Sklave sein muß. Aber dein Masser will an so was lieber erst gar nicht denken.« Hühner-George hingegen, der jetzt so viel Zeit allein bei den Hühnern verbrachte, begann, dem um so mehr nachzusinnen. Er beschloß, einmal mit einem von den freien Schwarzen darüber zu reden, denen er schon oft begegnet war, wenn er und der Masser die Städte besuchten, ohne daß er ihnen je Beachtung geschenkt hätte. Wenn er an der Umzäunung entlangging, die Jungtiere und die Zuchthähne fütterte, freute er sich immer wieder über das wütende Krähen der Hähne, das so klang, als bereiteten sie sich schon auf die kommenden wilden Kämpfe vor. Und immer wieder dachte er an das Jemandem-Gehören.
    Eines Nachmittags, als er die fast erwachsenen Tiere im Freigehege

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