Wurzeln
beobachtete, kam ihn die Lust an, selber zu krähen. Er beherrschte diese Kunst perfekt. Meist antwortete ihm ein wütender Hahn, der einen Eindringling vermutete. Heute war es wieder so. Aber das prachtvolle Tier, das aus den Büschen vorkam, stand etwa eine halbe Minute heftig mit dem Flügel schlagend da, bevor es in den herbstlichen Nachmittag hinauskrähte. Das helle Sonnenlicht schimmerte auf seinem leuchtenden Gefieder. Seine Haltung war kraftvoll und wild, von den funkelnden Augen bis zu den starken gelben Beinen mit den tödlichen Krallen. Alles an ihm drückte eine solche Kühnheit, Tapferkeit und einen solchen Freiheitsdurst aus, daß Hühner-George sich gelobte, dieses Tier nie zu fangen, zu trainieren oder zu stutzen. Nein, dieser Hahn sollte mit seinen Hennen weiterhin unter den Tannen leben – unbehindert und frei !
Kapitel 100
Die Hahnenkampfsaison rückte rasch näher, aber Masser Lea hatte New Orleans mit keinem weiteren Wort erwähnt. Hühner-George hatte es eigentlich auch nicht erwartet, denn irgendwie wußte er, daß es nie zu dieser Reise kommen sollte. Immerhin machten er und der Masser bei den örtlichen Hauptturnieren großen Eindruck, wenn sie in ihrem blitzblanken Wagen, beladen mit zwölf Hahnenverschlägen, ankamen. Und das Glück stand ihnen bei. Masser Lea gewann durchschnittlich jeweils vier von fünf Kämpfen, und George, der mit den ausgesonderten Hähnen antrat, hatte in den Kleinkämpfen ebenfalls Erfolg. Es war eine hektische und ertragreiche Saison, dennoch gelang es George, gerade zu Hause zu sein, als gegen Jahresende sein fünfter Sohn geboren wurde. Matilda wollte ihn James nennen, denn James, so sagte sie, sei schon immer einer ihrer Lieblingsjünger gewesen. Hühner-George erklärte sich einverstanden, wenn er auch insgeheim eine Grimasse schnitt.
Wohin George mit dem Masser jetzt auch immer reiste, überall schienen die Schwarzen mit wachsender Bitterkeit über die Weißen zu reden. Auf ihrer letzten Reise hatte ein freier Schwarzer George von Osceola, dem Häuptling der Seminolen-Indianer in einem Staat namens Florida, erzählt. Als die Weißen Osceolas schwarze Frau, eine entlaufene Sklavin, gefangennahmen, stellte er eine Kampftruppe aus 2000 entlaufenen Sklaven und Seminolen-Indianern zusammen, mit der er eine Einheit der Armee der Vereinigten Staaten in einen Engpaß lockte und über hundert Soldaten tötete; daraufhin wurde eine starke Streitmacht aufgeboten, um Osceolas Truppen, die sich in den Sümpfen Floridas versteckt hielten und gelegentlich Überfälle unternahmen, endgültig zu vernichten.
Kaum war die Hahnenkampfsaison 1836 beendet, hörte Hühner-George, daß an einem Ort namens »The Alamo« eine Schlacht zwischen Mexikanern und einer Garnison weißer Texaner stattgefunden habe, bei der alle Weißen, einschließlich eines gewissen Davey Crockett, ein Waldläufer, Freund und Fürsprecher der Indianer, niedergemetzelt worden waren. Und später im selben Jahr wurde ihm von weiteren Niederlagen der Weißen im Kampf gegen die Mexikaner unter General Santa Ana berichtet, der sich damit brüstete, der größte Hahnenkampfzüchter der Welt zu sein. George war skeptisch; wenn das stimmen sollte, hätte er ja schon von ihm hören müssen.
Es war im Frühling des nächsten Jahres, als George bei der Heimkehr von einer Reise den Bewohnern des Sklavenquartiers eine neue sensationelle Nachricht verkündete. »Hab’s von dem Nigger gehört, der beim Gerichtsgebäude Portier ist: Der neue Präsident van Buren hat der Armee befohlen, die Indianer allesamt über den Mississippi zu treiben!«
»Klingt mir ganz so, als wenn sie den Indianern übern Jordan helfen wollen!« sagte Matilda.
»Das haben die Indianer jetzt davon, daß sie die Weißen überhaupt ins Land gelassen haben«, sagte Onkel Pompey. »’ne ganze Menge Leute, und ich hab auch dazugehört, bis ich erwachsen war, haben gar nicht gewußt, daß hier vorher kein Mensch war außer den Indianern, und die haben gejagt und geangelt und miteinander gekämpft und niemand nicht gestört, und was sie gemacht haben, war ihre Sache. Und dann kam so ’n kleines altes Boot an mit lauter Weißen, die haben gewinkt und gegrinst und geschrien: ›He, ihr roten Männer da! Können wir nicht mal rüberkommen und was essen und bei euch schlafen und eure Freunde sein?‹ Ach! Ich wette, daß die Indianer heute froh wären, wenn sie mit ihren Pfeilen ein Stachelschwein aus diesem Boot gemacht hätten!«
Von einer
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