Wurzeln
sorgfältigen Plan für die Flucht in den Norden auszuarbeiten, statt hier endlose Jahre hinzubringen, bis sie sich freikaufen konnten. Er hatte diesen Gedanken widerwillig aufgegeben, weil Großmutter Kizzy schon weit über sechzig und Schwester Sarah und Miss Malizy, die ja auch zur Familie gehörten, über siebzig Jahre alt waren. Er wußte zwar, daß gerade diese drei am ehesten zur Flucht bereit wären, bezweifelte aber, ob auch nur eine von ihnen die Gefahren und Schwierigkeiten eines so riskanten Unternehmens überstehen würde.
In letzter Zeit hatte Tom aus verschiedenen Anzeichen geschlossen, daß die Verluste des Masser bei den Hahnenkämpfen in Wirklichkeit noch schwerer waren, als er zugegeben hatte. Tom hatte ihn beobachtet und festgestellt, daß er mit jedem Tag und mit jeder geleerten Whiskeyflasche älter, abgezehrter und müder wurde. Und er wußte aus den Erzählungen von Lewis, daß der Masser mindestens die Hälfte seines Hühnerbestandes – Zuchtergebnis von etwa einem halben Jahrhundert sorgfältiger Pflege – verkauft hatte, und dies schien ihm besonders bedenklich.
Es kam Weihnachten, es kam das neue Jahr 1856, und über dem Sklavenquartier und der ganzen Pflanzung schien das Unheil wie eine drohende schwarze Wolke zu hängen. Dann erschien eines frühen Nachmittags im Frühling abermals ein Reiter. Zuerst hielt Miss Malizy ihn für einen weiteren Hühnerkäufer. Aber als sie sah, wie anders der Masser diesen Mann begrüßte, begann sie, Verdacht zu schöpfen. Er lächelte und plauderte mit dem Mann, der vom Pferd stieg, und brüllte dem in der Nähe stehenden Klein George zu, er solle das Pferd zur Tränke führen, ihm zu fressen geben und es für die Nacht in den Stall führen; sodann geleitete Masser Lea seinen Besucher mit Zuvorkommenheit ins Haus.
Bevor Miss Malizy dort das Abendessen servierte, wurden im Sklavenquartier ängstliche Vermutungen angestellt. »Was für ’n Mann ist das überhaupt?« – – – »Den hab ich noch nie gesehn!« – – – »Der Masser hat sich schon lang nicht mehr so benommen!« – – – »Was der hier wohl will?« Sie konnten den späteren Bericht Miss Malizys kaum erwarten.
»Immer wenn ich im Zimmer war, haben die nichts über nichts von gar nichts geredet«, erzählte sie schließlich. »Könnte sein, weil die alte Missis dabei war.« Dann setzte sie bedeutungsvoll hinzu: »Aber irgendwie gefällt mir der andre Mann da nicht. Überhaupt nicht! Hab schon viele solche Leute erlebt. Guckt so oberschlau und tut wer weiß wie!«
Ein Dutzend Augenpaare waren auf die Fenster des Hauses gerichtet und beobachteten gespannt, was darin vorgehen mochte, bis sie sahen, wie ein Licht sich aus dem Wohnzimmer fortbewegte, und wußten, daß Missis Lea die Männer allein ließ und zu Bett ging. Die Lampe im Wohnzimmer brannte noch immer, als der letzte Beobachter im Sklavenquartier es aufgab und in banger Erwartung der nächsten Morgenglocke schlafen ging.
Matilda nahm bei der ersten Gelegenheit noch vor dem Frühstück ihren Sohn Tom beiseite: »Tom, gestern abend bin ich nicht dazu gekommen, aber ich muß dir was sagen, und ich wollt die andern nicht unnütz erschrecken, aber Malizy hat mir gesagt, sie hat gehört, wie der Masser zwei Zahlungen für die Hypothek versprochen hat, und Malizy weiß, daß er kaum einen Penny besitzt! Ich hab das Gefühl, und ich bin fast sicher, daß der Mann ein Sklavenkäufer ist!«
»Ich auch«, sagte Tom ganz ruhig. Er schwieg einen Augenblick. »Mammy, ich hab mir überlegt, vielleicht wären wir bei einem andern Masser ja sogar besser dran. Das heißt, solange wir alle zusammenbleiben. Das ist meine größte Sorge.«
Die anderen traten aus ihren Hütten, und Matilda eilte davon, um sie mit der Fortführung ihres Gespräches nicht unnötig zu beunruhigen.
Missis Lea hatte Miss Malizy gesagt, sie habe Kopfschmerzen und wolle kein Frühstück, aber der Masser und sein Besucher aßen reichlich, traten in den Hof hinaus und redeten angelegentlich miteinander. Dann näherten sie sich der Schmiede, wo Tom schon die Funken stieben ließ. Sie sahen schweigend zu, wie er geschickt zwei Scharniere anfertigte, die ihm kürzlich in Auftrag gegeben worden waren. Tom schaute nicht von der Arbeit auf; er tat, als wüßte er nicht, daß ihm jemand zusah.
Schließlich sprach Masser Lea: »Ihr könnt Euch drauf verlassen. Der ist ein guter Schmied.«
Der andere brummte zustimmend und begann, in dem kleinen Schuppen umherzugehen und
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