Wurzeln
nicht ausgenommen. So stimmte es ihn bedenklich, daß Irene ihre weißen Besitzer zu bewundern, ja geradezu anzubeten schien; denn das bedeutete, daß sie in diesem sehr wesentlichen Punkt nicht einer Meinung sein würden.
Das zweite Problem hielt er für noch schwieriger: Die Familie Holt schien ebenso an Irene zu hängen wie sie an ihnen. Das gab es ja zuweilen, daß reiche Masserfamilien besonders enge Beziehungen zu Sklaven in ihrem Haushalt unterhielten. Er jedoch würde es nie ertragen, eine Frau zu haben, die auf einer anderen Pflanzung lebte, denn dann wäre man dazu verdammt, beiderseits auf die Erlaubnis der Massers angewiesen zu sein, wenn man sich auch nur besuchen wollte.
Tom hatte sich sogar schon überlegt, welches der ehrenhafteste Weg sei, auf jedes weitere Beisammensein mit Irene zu verzichten, obgleich er wußte, welchen Schmerz er sich selbst damit zufügte.
»Was ist los, Tom?« fragte sie ihn am nächsten Sonntag besorgt.
»Nichts.«
Sie fuhren schweigend eine Weile weiter. Dann sagte sie in ihrer freimütigen Art: »Ich werd dich nicht drängen, wenn du mir nichts sagen willst, aber ich weiß doch, daß dich irgendwas bedrückt.«
Tom spürte kaum noch die Zügel in seinen Händen. Eine der Eigenschaften Irenes, die er am meisten bewunderte, war zweifellos ihre Offenheit und Ehrlichkeit, und er war nun schon wochen- und monatelang mit ihr nicht ehrlich gewesen, er hatte ihr seine wahren Gedanken nicht mitgeteilt, was er doch eigentlich hätte tun sollen, wenn es auch beiden weh tun mußte.
Tom bemühte sich, ungezwungen zu klingen. »Erinnerst du dich, wie ich dir mal vor einiger Zeit von meinem Bruder Virgil und seiner Frau erzählt hab, die bei ihrem Masser bleiben mußte, als wir verkauft wurden?« Da es seiner Sache nicht dienlich wäre, erzählte er jetzt nicht, wie Masser Murray kürzlich auf sein Bitten hin eigens nach Caswell County gefahren war und Lilly Sue und den kleinen Uriah gekauft hatte.
Er zwang sich fortzufahren: »Und mir geht’s gradeso – wenn ich mal daran denken würde, mich mit jemand zusammenzutun – na, ich glaub einfach nicht, daß ich das fertigbrächte, wenn wir dann beide jeder auf einer andern Pflanzung leben müßten.«
»Ich auch nicht!« Ihre Antwort kam so prompt und überzeugt, daß Tom fast die Zügel aus der Hand fallen ließ. Er konnte es kaum glauben. Mit einem Ruck wandte er sich ihr zu und starrte sie an. »Was meinst du damit?« stammelte er.
»Grad, was du gesagt hast!«
Er wurde direkter: »Aber du weißt doch genau, daß Masser und Missis Holt dich nicht verkaufen werden!«
»Ich werd verkauft, wenn ich will!« Sie sah ihn ruhig an.
Tom fühlte eine plötzliche Schwäche, die sich seines ganzen Körpers bemächtigte. »Wie kannst du so was sagen?«
»Ich will ja nicht frech klingen, aber das soll nicht deine Sorge sein. Überlaß das man mir.«
Tom war wie in einem Taumel. Er hörte sich sagen: »Na, warum läßt du dich dann nicht verkaufen –«
Sie schien zu zögern. Er war vor Angst ganz außer sich.
Sie sagte: »Na schön. Wann soll’s denn sein?«
»Das liegt an dir –«
Seine Gedanken überschlugen sich. Welch unerschwingliche Summe würde ihr Masser für eine solche Kostbarkeit, wie sie es war, verlangen? – Oder war das alles etwa nur ein tollkühner Traum?
»Du mußt deinen Masser fragen, ob er mich kaufen will.«
»Er wird dich kaufen«, sagte er mit mehr Gewißheit, als er verspürte. »Wieviel glaubst du wohl, daß du kostest?« fragte er. »Das will er bestimmt wissen.«
»Ich denke, die werden nehmen, was er bietet, wenn’s ein vernünftiger Preis ist.«
Tom starrte sie entgeistert an, und Irene starrte zurück.
»Tom Murray, du bist in mancher Hinsicht der unausstehlichste Mann, der mir je begegnet ist! Ich hätt dir das schon gleich am ersten Tag sagen können, wo wir uns gesehn haben. Und die ganze Zeit über hab ich gewartet, daß du mal was sagst! Na, wart nur, bis ich dich erst in die Finger krieg. Ich werd dir diesen Dickschädel schon austreiben!« Er spürte kaum ihre kleinen Fäuste, mit denen sie ihm auf den Kopf und die Schultern hämmerte, als er sie, die erste Frau seines Lebens, in die Arme nahm. Der Esel trabte ohne Führung voran.
Als Tom an diesem Abend im Bett lag, sah er sich im Geiste eine Rose aus Eisen schmieden. Er würde bei seiner nächsten Fahrt in die Bezirksstadt ein Stück vom feinsten Eisen kaufen, dann sich eine Rose genau anschauen, sehen, wie Stiel und Blüte sich
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