Wurzeln
riskierte er nur schnell noch die eine Frage: »Miss Irene, bist – bist du – gehst du mit jemand?«
Sie blickte ihn lange und ernst an, so daß er schon meinte, etwas Unpassendes gesagt zu haben. »Mister Murray, ich war immer dafür bekannt, daß ich frei raussage, was ich denke: Wie ich vorhin gesehn hab, wie schüchtern du bist, hab ich schon richtig Angst gehabt, du wirst überhaupt nie wieder was zu mir sagen.«
Tom wäre beinahe von der Veranda gefallen.
Von da an hatte er Masser Murray jeden Sonntag um einen ganztägigen Passierschein und die Erlaubnis, den Eselswagen zu benutzen, gebeten. Seiner Familie erzählte er, daß er am Straßenrand weggeworfene Metallgegenstände und Schrott für seine Schmiede suche. Und tatsächlich fand er auch fast jedesmal, wenn er auf verschiedenen Wegen zu Irene fuhr, irgendeinen nützlichen Gegenstand.
Nicht nur sie, auch alle anderen im Holtschen Sklavenquartier hätten ihm nicht freundlicher begegnen und ihn herzlicher aufnehmen können. »Du bist so schüchtern und dabei so klug, daß die Leute dich eben mögen«, erklärte ihm Irene. Gewöhnlich fuhren sie zusammen an irgendeinen nicht zu weit entfernten, aber etwas abgelegenen Ort, wo Tom den Esel ausspannte und grasen ließ, während er mit Irene spazierenging. Bei ihren Unterhaltungen führte Irene meist das Wort.
»Mein Pappy ist ein Indianer, und er heißt Hillian, hat meine Mammy gesagt. Daher kommt die eigenartige Farbe bei mir«, erzählte Irene ganz unbefangen, ohne daß er sie danach gefragt hatte. »Ganz früher ist meine Mammy von einem ganz ekligen Masser weggelaufen, Indianer haben sie im Wald gefunden und mit in ihr Dorf genommen, da hat sie meinen Pappy kennengelernt, und dann bin ich geboren. Ich war noch ganz klein, als weiße Männer kamen und das Dorf überfallen haben. Sie haben viele umgebracht und meine Mammy gefangen und zu ihrem Masser zurückgebracht. Der hat sie furchtbar geschlagen, sagt sie, und dann uns beide an so ’n Niggerhändler verkauft, und von dem hat Masser Holt uns gekauft. Das war das reinste Glück, denn das sind wirklich ganz vornehme Herrschaften –« Sie kniff die Augen etwas zusammen. »Na ja, wenigstens meistens. Jedenfalls war Mammy ihre Wasch- und Bügelfrau, bis sie krank wurde und gestorben ist. Das war vor vier Jahren, seitdem bin ich hier. Ich bin jetzt achtzehn, am Neujahrstag werd ich neunzehn –« Sie schaute Tom treuherzig an. »Und du, wie alt bist du?«
»Vierundzwanzig«, sagte Tom.
Nun erzählte er Irene die wichtigsten Ereignisse aus dem Leben seiner Familie und fügte hinzu, sie kennten sich allerdings noch nicht sehr gut in diesem Teil Nord-Carolinas aus, in den sie erst kürzlich verkauft worden waren.
»Ich hab schon ziemlich viel mitgekriegt«, sagte sie, »denn die Holts sind hier sehr wichtige Leute, fast jeder kommt sie besuchen, und ich bediene ja meistens, da sperr ich eben Augen und Ohren auf.«
»Die sagen, daß die Urururgroßväter von den meisten Weißen hier in Alamance County lange vor diesem Revolutionskrieg aus Pennsylvania gekommen sind, und damals soll hier fast niemand nicht gelebt haben, außer den Sissipaw-Indianern. Manche nennen sie auch Saxapaws. Aber die weißen englischen Soldaten haben sie fast alle umgebracht, jetzt gibt’s nur noch den Saxapaw-River, der ihren Namen trägt –«, sie zog eine Grimasse. »Mein Masser sagt, die Weißen hatten’s einmal sehr schwer, deshalb sind sie übers Wasser gekommen und alle nach Pennsylvania gegangen, wo’s nachher so voll war, daß die Engländer, die damals die Kolonien hatten, eines Tags einfach gesagt haben: Sie können hier in Nord-Carolina Land kaufen, soviel sie wollen, für weniger als zwei Cents den Morgen. Na, da sind lauter Quäker, schottisch-irische Presbyterianer und deutsche Lutheraner gekommen, hat der Masser gesagt, mit ihren großen Planwagen durch die Täler von Cumberland und Shenando, und haben alles weggedrängt. Im Umkreis von vierhundert Meilen oder so, hat der Masser gesagt. Sie haben alles Land gekauft, was sie kriegen konnten, und dann gerodet und gepflügt und lauter kleine Farmen gegründet, auf denen sie alleine arbeiten, wie’s die meisten weißen Leute in dieser Gegend noch heute tun. Deshalb gibt’s hier auch nicht so viele Nigger wie da, wo die großen Pflanzungen sind.«
Am nächsten Sonntag zeigte Irene Tom die Baumwollspinnerei ihres Masser am Ufer der Alamance-Bucht, und sie war so stolz dabei, als ob die Spinnerei und die Familie
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