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Wurzeln

Wurzeln

Titel: Wurzeln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Haley
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aneinanderfügten, wie die Blütenblätter sich entfalteten und sich auseinanderbogen – er müßte ausprobieren, wie er die Eisenstange bei hellglühendem Feuer am schnellsten so waffeldünn hämmern konnte, daß er daraus die Blütenblätter formen, sie noch einmal erhitzen und dann ganz zart und mit viel Liebe in ihre Biegungen und Rundungen bringen konnte. Danach würde er das Ganze in eine Mixtur von Wasser und Öl tauchen, damit die hauchdünne Anmut der Blüte erhalten bliebe –

Kapitel 107
    Missis Emily Holt vernahm ein Geräusch, ging die Treppe hinunter und fand dort zu ihrer Bestürzung die heftig schluchzende Irene, ihr über alles geschätztes Zimmermädchen. Sie fragte besorgt und erschreckt: »Was ist denn nur, Irene?«, hockte sich nieder, ergriff sie bei den Schultern und schüttelte sie sanft. »Willst du wohl auf der Stelle aufstehen und mir sagen, was mit dir los ist?«
    Irene richtete sich mühsam auf und erzählte ihrer Missis von ihrer Liebe zu Tom, den sie, wie sie sagte, viel lieber heiraten würde, als sich weiterhin den fortgesetzten Nachstellungen gewisser junger Massers widersetzen zu müssen. Empört verlangte Missis Holt, ihr sofort die Namen dieser jungen Männer preiszugeben, und Irene nannte mit tränenerstickter Stimme zwei von ihnen.
    Noch am selben Abend kamen der sehr betroffene Masser und Missis Holt überein, daß es zweifellos im Interesse der Familie läge, wenn Irene so schnell wie möglich an Masser Murray verkauft würde.
    Da aber beide Irene wirklich gern hatten und auch ihre Wahl billigten, bestanden sie darauf, daß Masser und Missis Murray ihnen die Sorge für die Hochzeit und den anschließenden Hochzeitsschmaus überließen. Bei dieser Gelegenheit sollten sich sämtliche Mitglieder der weißen und schwarzen Familien Holt und Murray im Hof des Holtschen Hauses versammeln, ihr Pfarrer würde die Trauung vornehmen und Masser Holt die Braut persönlich zum Altar führen.
    Was jedoch bei dieser schönen und rührenden Feier das größte Aufsehen erregte, war die geschmiedete zierliche Rose mit dem langen Stiel, die Tom aus seiner Brusttasche hervorzog und zärtlich seiner strahlenden Braut überreichte. Inmitten der bewundernden »Ohs« und »Ahs« der Hochzeitsgäste erklang Irenes vor Glück ganz belegte Stimme, während sie die Rose an die Brust drückte: »Tom, sie ist einfach zu schön! Immer werd ich bei der Rose sein – und auch bei dir!«
    Ein üppiges Hochzeitsessen wurde im Hof aufgetragen, nachdem sich die freundlich lächelnden weißen Familien an ihre Tafel im Innern des Herrenhauses zurückgezogen hatten, und als Matilda ihr drittes Glas von dem guten Wein getrunken hatte, sagte sie leicht beschwipst zu Irene: »Du bist mehr wie nur ’ne hübsche Schwiegertochter! Du hast mich von der Sorge befreit, ob Tom wohl je heiraten würde; ich dachte schon, der ist zu schüchtern, daß er ein Mädchen fragt, ob sie will –« Worauf Irene laut und deutlich antwortete: »Hat er auch nicht!« Die Gäste, die es hörten, brachen in wildes Gelächter aus.
    Als der frischvermählte Ehemann dann wieder bei Murrays lebte, meinte man in seiner Familie, daß sein Schmiedehammer plötzlich melodiöse Klänge von sich gab, wenn er auf den Amboß einschlug. Niemand hatte ihn je so viel reden, so vielen Menschen zulächeln oder so viel arbeiten sehen wie seit der Zeit, da Irene bei ihm war. Ihre geliebte und sorglich gehütete Eisenrose schmückte den Kamin in ihrer neuen Hütte, die er pünktlich beim Morgengrauen verließ, um das Schmiedefeuer zu schüren. Danach hörte man fast ununterbrochen bis zum Abend das frohe Hämmern, das Zischen und Sprudeln, wenn er einen rotglühenden, frischgeschmiedeten Gegenstand ins Wasser tauchte. Kunden, die nur kleinere Reparaturarbeiten in Auftrag gaben oder Werkzeuge zum Schleifen brachten, bat er gewöhnlich zu warten. Manche Sklaven setzten sich auf die seitlich des Feuers aufgeschichteten Holzscheite, doch die meisten zogen es vor, in kleinen Gruppen herumzustehen und ein Schwätzchen zu halten. Auf der gegenüberliegenden Seite saßen die wartenden weißen Kunden auf eigens für sie angefertigten Holzbänken, die Tom vorsorglich so entfernt aufgestellt hatte, daß die Weißen gar nicht erst auf die Idee kamen, er könne beim Arbeiten ihren Gesprächen lauschen. Sie saßen da, rauchten, schwatzten, nahmen hier und da einen Schluck aus den mitgeführten Taschenflaschen und betrachteten Toms Schmiede als einen willkommenen Treffpunkt.

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