Wurzeln
So versorgten sie Tom unwillkürlich mit dem täglichen Klatsch, aber auch mit wichtigen Neuigkeiten, die er später an Irene, Matilda und die übrige Familie des Sklavenquartiers weitergab.
Er berichtete, wie zutiefst verbittert die Weißen über die sich vom Norden her ausbreitende Kampagne der Abolitionisten gegen die Sklaverei waren. »Die sagen, der Präsident Buchanan soll sich bloß hüten, daß er sich nicht mit diesem elenden Pack von Niggerfreunden einläßt, wenn er hier im Süden was erreichen will.« Aber am meisten haßten seine Kunden, wie er sagte, »den Masser Abraham Lincoln, der gesagt hat, daß er uns Sklaven befreien will«.
»Ist schon wahr«, sagte Irene. »Erinner mich, wie sie erst letztes Jahr gesagt haben, der soll bloß das Maul halten, sonst kriegt er noch ’n Krieg mit dem Süden!«
»Da hättet ihr mal meinen alten Masser hören sollen, wie der geschimpft und geflucht hat«, sagte Lilly Sue. »Der hat gesagt, dieser Masser Lincoln hat so schlaksige lange Beine und Arme und so ’n häßliches und behaartes Gesicht, daß man gar nicht sagen kann, ob er mehr wie ’n Schimpanse oder wie ’n Gorilla aussieht! Und dann hat er noch gesagt, der ist irgendwo als ganz armer Schlucker in so ’m Blockhaus aufgewachsen und mußte Bären und Iltisse fangen, damit er was zu essen hatte, und Holz gehackt hat er wie ’n Nigger:«
»Tom, hast du uns nicht erzählt, daß der Masser Lincoln heute Rechtsanwalt ist?« fragte Klein Kizzy, und Tom nickte zustimmend.
»Na, ich scher mich nicht drum, was diese weißen Leute da reden«, erklärte Matilda. »Masser Lincoln muß schon wirklich was Gutes für uns tun, wenn die sich so über ihn aufregen. Je mehr ich von ihm höre, desto mehr klingt er mir wie Moses, der uns Kinder Israels befreien will!«
»Für meinen Geschmack könnt er’s gar nicht schnell genug tun«, sagte Irene.
Masser Murray hatte sie und Lilly Sue für die Feldarbeit gekauft, und dem hatte sie sich anfangs auch willig gefügt. Aber kaum waren ein paar Monate vergangen, bat Irene ihren treuergebenen Ehemann, ihr einen Webstuhl anzufertigen, und so rasch es ihm seine geübten Hände erlaubten, hatte er ihren Wunsch erfüllt. Seitdem hörte man ihr Ritsch-Ratsch drei Hütten weit bis in die späte Nacht hinein, wenn schon alles im Sklavenquartier schlief. Und alsbald trug der sichtlich stolze Tom beglückt-verschämt ein Hemd, das Irene ihm aus selbstgewebtem Stoff zugeschnitten und genäht hatte. Als man sie beglückwünschte, meinte sie nur: »Ich tu nun mal einfach gern, was meine Mammy mich gelehrt hat.« Sie zupfte, spann, webte und nähte Kleider aus Rohbaumwolle für Lilly Sue und Klein Kizzy – die jetzt fast zwanzig Jahre alt war und noch immer keine Neigung zeigte, seßhaft zu werden, sondern sich lieber von den Burschen der Umgebung den Hof machen ließ. Einer ihrer bevorzugten Freunde war Amos, der zehn Meilen entfernt im neuerbauten Hotel der Nord-Carolina-Eisenbahngesellschaft arbeitete.
Irene fertigte auch Hemden für all ihre Schwäger, was die ihr hoch anrechneten – sogar Ashford –, und schließlich arbeitete sie Schürzen, Kittel und Hauben für Matilda und sich selbst. Missis und Masser Murray zeigten sich nicht minder freudig überrascht und begeistert, als sie ihnen ein feingeschnittenes Kleid und ein Hemd schenkte, das sie aus der auf ihrer eigenen Pflanzung gewachsenen Baumwolle hergestellt hatte.
»Ist das nicht wunderschön!« rief Missis Murray aus, als sie sich der strahlenden Matilda im neuen Kleid präsentierte. »Ich versteh überhaupt nicht, warum die Holts bereit waren, sie uns zu verkaufen – selbst für einen anständigen Preis.« Matilda vermied es tunlichst, ihr den wahren Sachverhalt zu erzählen, wie sie ihn von Irene erfahren hatte, und sagte nur: »Soviel ich weiß, ist es bloß, weil sie den Tom so gern mochten.«
Irene, die Farben über alles liebte, sammelte alle möglichen Pflanzen und Blätter zum Färben von Stoff, und an den Wochenenden im Frühherbst 1859 konnte man auf den Trockengestellen rote, grüne, lila, braune und gelbe Stoffbahnen hängen sehen. Ohne daß darüber offiziell gesprochen wurde, zog sich Irene mehr und mehr von der Feldarbeit zurück. Vom Masser und von der Missis bis hin zum kleinen vierjährigen Uriah, der seinen Eltern Virgil und Lilly Sue bereits das Leben schwer zu machen begann, war ein jeder sich des Glanzes bewußt, den Irene in ihrer aller Leben brachte.
»Ich glaub, der Tom hat mir besonders
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