Wurzeln
du gut behandelt wirst. Darauf geb ich dir mein Wort.«
»Euer Wort, Masser Murray?« Georges Augen waren ausdruckslos.
In jener Nacht lagen George und Matilda Hand in Hand unter ihrer Decke und starrten vor sich hin. »Tilda«, sagte er nach einer langen Weile, »ich glaub, es bleibt mir gar nichts andres übrig wie dableiben. Bin ja bisher nichts wie rumgerannt.«
»Nein, George.« Sie schüttelte langsam den Kopf. »Das geht nicht. Weil du der erste von uns bist, der seine Freiheit hat. Du mußt frei bleiben , damit wir jemand Freien in der Familie haben. Du kannst doch nicht einfach wieder ’n Sklave werden.«
Hühner-George fing an zu weinen, und Matilda weinte mit ihm.
Zwei Abende später fühlte sie sich zu elend, um ihn abends zu Tom und Irene zu begleiten, und so ging Hühner-George allein. Als das Gespräch auf ihr Kind, das in etwa zwei Wochen erwartet wurde, kam, wurde Hühner-George plötzlich feierlich.
»Daß ihr mir auch bestimmt dem Kind über unsre Familie erzählt, hört ihr?«
»Pappy, keines meiner Kinder wird aufwachsen, ohne das zu wissen.« Tom zwang sich zu einem Lächeln. »Außerdem glaub ich, daß Oma Kizzy sonst zurückkommt und mir ordentlich Bescheid stößt, wenn ich’s nicht tu.«
Eine Weile lang saßen die drei schweigend da und starrten ins Feuer.
Schließlich nahm Hühner-George wieder das Wort: »Ich und Tilda, wir haben gezählt. Ich hab noch vierzig Tage, bis ich weg muß, nach dem, was das Gesetz sagt. Aber ich hab’s mir überlegt. Keine Zeit ist gut fürs Weggehen. Hat auch keinen Zweck, die Sache rauszuschieben –«
Er sprang von seinem Stuhl auf, umarmte Tom und Irene mit aller Kraft und sagte mit gebrochener Stimme: »Ich komm wieder! Paßt gut auf euch auf!« Er stürzte durch die Tür hinaus.
Kapitel 110
Es war an einem Abend im frühen November 1860, Tom beeilte sich, seine letzten Schmiedearbeiten vor Einbruch der Dunkelheit zu beenden. Er schaffte es gerade. Dann löschte er das Schmiedefeuer, verließ den Schuppen und stapfte müde nach Hause. Irene, die ihre kleine, jetzt sechs Monate alte Tochter Maria stillte, erwartete ihn mit dem Abendessen. Aber sie aßen schweigend, Irene wollte ihn in seinen Gedanken nicht stören. Später trafen sie sich mit der übrigen Familie, die sich in Matildas kleiner Hütte zusammengedrängt hatte. Sie waren dabei, Nüsse zu schälen und zu knacken, die Matilda und Irene – sie war wieder schwanger – für die Weihnachts- und Neujahrsbäckerei gesammelt hatten.
Tom hörte dem Geplauder teilnahmslos zu – oder er tat zumindest so, als ginge es ihn nichts an –, und als schließlich eine Gesprächspause eintrat, lehnte er sich vor in seinem Stuhl und sagte: »Erinnert ihr euch, wie ich schon oft von den weißen Leuten in meiner Werkstatt erzählt hab? Und wie die immer so über den Masser Lincoln getobt und geflucht haben? Na, da hättet ihr sie mal heute hören sollen, er ist nämlich zum Präsidenten gewählt worden. Jetzt behaupten die, er wird da im Weißen Haus alles gegen den Süden tun und gegen die Sklavenbesitzer.«
Matilda sagte: »Ich werd ja jedenfalls zuallererst hören, was Masser Murray darüber zu sagen hat. Er hat ja der Missis schon immer erzählt, es wird großen Ärger geben, wenn der Norden und der Süden sich nicht irgendwie einigen.«
»Hab da verschiedenes gehört«, fuhr Tom fort. »Viel mehr Leute, wie wir glauben, sind gegen die Sklaverei, und die sind nicht bloß im Norden. Ich hatte heute kaum noch ’n Kopf für die Arbeit, so sehr hab ich über alles nachdenken müssen. Klingt irgendwie zu schön, als daß man’s glauben könnte, aber ist gut möglich, daß es eines Tages keine Sklaven nicht mehr gibt.«
»Den Tag werden wir bestimmt nicht erleben«, sagte Ashford verbittert.
»Aber sie vielleicht«, sagte Virgil und nickte Irenes Baby zu.
»Sieht mir nicht danach aus«, sagte Irene, »sosehr ich’s auch glauben möcht. Zähl doch mal all die Sklaven im Süden zusammen und rechne mal nur die Feldarbeiter zu acht- und neunhundert Dollar das Stück. Das ist ja mehr Geld, wie der liebe Gott hat! Außerdem machen wir doch all die Arbeit.« Sie sah Tom an. »Du weißt sehr gut, daß die Weißen darauf nicht verzichten werden.«
»Das geht nicht ohne Kampf ab«, sagte Ashford. »Doch die sind ja so viel mehr wie wir. Wie sollen wir da gewinnen?«
»Aber wenn du das ganze Land nimmst«, sagte Tom, »dann könnt’s gradsoviel Leute gegen die Sklaverei wie dafür geben.«
»Der
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