Wurzeln
manche von den Kleinen gehn auch in die Schule und so.
Aber alte Nigger, mit denen ich geredet hab, haben eine Stinkwut auf die weißen Einwanderer, die sich überall breitmachen –«
»Die Abolitionen?« rief Klein Kizzy dazwischen.
»Willst du’s erzählen oder ich? Nein! Ist was ganz andres. So wie ich’s versteh, sind die Abolitionen meistens weiße Leute, die schon ebensolang im Lande sind wie die Nigger. Aber die, von denen ich rede, die kommen mit den Schiffen in New York an und sind jetzt überall im Norden. Die meisten davon sind Iren, und man kann nicht mal verstehn, was die sagen, und dann gibt’s noch ’ne Menge andre ganz komische Arten, die nicht mal englisch sprechen können. Ich hab gehört, wenn die vom Schiff steigen, ist das erste Wort, was sie lernen, ›Neger‹, und gleich darauf beklagen sie sich, daß die Nigger ihnen ihre Arbeit wegnehmen! Die machen überall Stunk und Scherereien – sind schlimmer wie unsre armen Weißen hier!«
»Du lieber Gott, hoffentlich kommen die nicht hierher«, sagte Irene.
»Wißt ihr was? Ich könnt euch ’ne ganze Woche erzählen, und das wär nur die Hälfte von dem, was ich gesehn und gehört hab, bevor ich auf das Schiff nach Richmond gestiegen bin.«
»Ein Wunder, daß du das überhaupt geschafft hast!«
»Frau, kannst du mich nie nicht in Ruhe lassen? Da ist dein Mann nu jahrelang weg, und du führst dich auf, wie wenn’s gestern gewesen wär!« Hühner-Georges Stimme nahm einen leicht beleidigten Ton an.
Tom fragte rasch: »Hast du das Pferd in Richmond gekauft?«
»Genau! Siebzig Dollar! Sie ist ’ne richtig schnelle Stute. Hab mir gedacht, ein freier Mann braucht ’n gutes Pferd. Hab sie hart hergenommen, so schnell sie konnte, wie ich zu Masser Lea bin.«
Es war Anfang April, und jeder außer ihm war sehr beschäftigt. Der größte Teil der Familie war beim Pflanzen auf den Feldern. Matilda putzte, kochte und servierte im Herrenhaus und verfügte über sehr wenig freie Zeit. Tom hatte vom Morgengrauen bis zur Abenddämmerung alle Hände voll in seiner Schmiede zu tun, wo seine Kunden saßen und warteten, und die fast im achten Monat schwangere Irene war von ihren diversen Aufgaben ebenfalls ganz in Anspruch genommen.
Aber im Laufe der nächsten Woche kam Hühner-George sie trotzdem alle bei der Arbeit besuchen, und so wurde es bald jedem klar, daß ihm jede Art von landwirtschaftlicher Arbeit fremd und zuwider war. Matilda und Irene lächelten einmal kurz, wenn er in ihrer Nähe auftauchte, entschuldigten sich aber rasch – sie wüßten, daß er Verständnis dafür habe – und kehrten zu ihren Tätigkeiten zurück. Mehrere Male kam er in die Schmiede, um mit Tom zu plaudern, während der arbeitete. Aber jedesmal wurde die Atmosphäre irgendwie gespannt. Die wartenden Sklaven wurden sichtlich nervös, denn die noch nicht bedienten weißen Kunden hielten plötzlich in ihren Gesprächen inne, spuckten auffällig zu Boden, rückten auf ihren Holzbänken herum und warfen dem Mann mit dem grünen Schal und dem schwarzen Hut argwöhnische und böse Blicke zu.
Zweimal während dieser Zeit sah Tom zufällig, wie Masser Murray schon auf dem Weg zur Schmiede war, dann aber mitten auf dem Wege kehrtmachte, und Tom wußte auch warum. Matilda hatte erzählt, die Murrays seien zuerst über die Nachricht von Hühner-Georges Rückkehr sehr erfreut gewesen – »aber Tom, ich mach mir jetzt Sorgen. Jedesmal, wenn ich ins Zimmer reinkomm, hören sie plötzlich auf zu reden, und ich weiß, daß sie vorher über irgendwas getuschelt haben.«
Welchen Status sollte Hühner-George als »Freier« auf der Murray-Pflanzung einnehmen? Was sollte er hier tun? Diese Fragen hingen wie eine Wolke über allen Überlegungen, die sie anstellten, und ein jeder fühlte sich davon betroffen – außer dem kleinen vierjährigen Uriah, dem Sohn Virgils und Lilly Sues.
»Bist du mein Opa?« Uriah ergriff die Gelegenheit, um diesem geheimnisvollen Mann, der seit seiner Rückkehr eine solche Aufregung unter all den anderen Erwachsenen gestiftet hatte, auch etwas zu sagen.
»Was?«
Der verblüffte Hühner-George war gerade auf dem Weg zurück ins Sklavenquartier und fühlte sich wieder einmal zutiefst gekränkt und überflüssig. Er schaute auf das Kind, das ihn mit seltsam großen Augen anstarrte. »Hm, ja, ich denke, das bin ich.« Er wollte schon weitergehen, drehte sich aber noch einmal um. »Wie heißt du doch gleich?«
»Uriah. Opa, wo arbeitest du
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