Wurzeln
sichtlich keine Notiz davon zu nehmen, daß Ashford demonstrativ aufstand und sich mit finsterem Gesicht anderswo hinsetzte.
»Ihr könnt’s mir glauben, ich hab doch keine blasse Ahnung von so was wie Aufpasser spielen. Folglich ist das einzig richtige – na?« fragte George ganz offen herum, »daß ihr mir auf die Sprünge helft. Es wär ja nicht gut, wenn Mr. Murray hier rauskommt und spitzkriegt, daß ich vielleicht nicht das mache, was er will.«
Die Vorstellung, ihren Aufseher erst richtig anzulernen, amüsierte sogar den gewöhnlich eher ernsten Tom, als sie über all dies im Sklavenquartier am Abend diskutierten. Alle waren sich einig darüber, daß die Verantwortung natürlich weiter bei Virgil liegen mußte, denn der hatte sein Leben lang die Feldarbeit eingeteilt.
»Also erst mal solltest du deinen Umgang mit uns schon ein bißchen ändern«, sagte Virgil zu George, »weil – wenn der Masser nun plötzlich auftaucht und wir hängen hier so rum, müssen wir dir ein Zeichen geben. Dann mußt du nämlich schnell ’n bißchen auf die Seite, weg von uns, kapiert? Du weißt doch, Weiße und ganz besonders Aufseher hängen nicht so nah bei uns Niggern rum.«
»Stimmt, in Süd-Carolina, wo ich herkomme, war’s auch so: die Nigger nie zu nah ran an die Weißen, ja«, bestätigte George.
»Siehst du, so dumm sind die Nigger dort auch nicht«, sagte Virgil, »denn überleg mal: ein Masser will doch das Gefühl haben, wenn er nun ’n Aufseher hat, daß seine Nigger dann strammer rangehn, als wie er noch keinen hatte, klar, wie? Also mußt du lernen, wie man rumschreit. ›Soll ich euch Beine machen, ihr Nigger?‹ Oder: ›Wollt ihr wohl schneller machen!‹ Und so was. Und jedesmal, wenn der Masser da ist oder irgendein andrer Weißer, hüte dich, uns so beim Namen zu nennen, wie du das tust. Immer brummig sein oder rumfluchen. Dann hat der Masser das Gefühl: Der ist goldrichtig, oder: Wie der rangeht, der läßt den Niggern nichts durchgehn.«
Als Masser Murray das nächste Mal die Feldarbeit kontrollierte, gab sich George Johnson redliche Mühe: er schrie und tobte herum, ja, er bedrohte fast jeden auf den Feldern, mit Virgil angefangen.
»Gut, gut. Und wie verhalten sie sich sonst?« fragte Masser Murray.
»Für Nigger, die vorher alles allein gemacht haben, mag’s wohl angehen«, sagte George Johnson gedehnt, »aber ich schätze, wir brauchen noch ein oder zwei Wochen, um sie richtig in die Reihe zu bringen.«
Das Gelächter an diesem Abend kann man sich gut vorstellen, besonders als sie George imitierten – und wie er Masser Murray so offensichtliches Vergnügen bereitet hatte. Später, als man wieder ernsthaft wurde, berichtete George Johnson ihnen mit leiser Stimme von seinem früheren Leben und wie bettelarm sie gewesen waren, sogar bevor der Krieg ihre Landwirtschaft zerstört, ihre Familie vertrieben und er sich auf die Suche nach einer neuen, besseren Zukunft gemacht hatte. »Er ist wohl der einzige Weiße, den ich je getroffen hab – der ehrlich über sich selbst redet«, faßte Virgil die Meinung der Familie über George zusammen.
»Wirklich, ich find’s toll, ihm zuzuhören, wenn er erzählt«, platzte Lilly Sue heraus. Aber Klein George hüstelte skeptisch.
»Der redet doch genauso wie die andern Weißen. Der einzige Unterschied – er ist der erste, den ich gesehn hab, der nicht probiert, sich besser zu machen, als er ist. Die meisten andern hätten sich geniert.«
Mary lachte.
»Der geniert sich ’n Dreck was! Vor allem, wenn er frißt. Der hat vielleicht Manieren!«
»Sieht mir ganz so aus, als ob ihr ihn ganz gern mögt, unsern Old George«, sagte Matilda.
Neues Gelächter, jetzt über diesen spontan fabrizierten neuen Spitznamen ihres Aufsehers, »Old George«, denn der war doch in Wirklichkeit geradezu lächerlich jung. Übrigens hatte Matilda durchaus recht: unglaublich, aber wahr – sie begannen, George aufrichtig zu mögen.
Kapitel 112
Nord und Süd schienen in einen ausweglos tödlichen Zweikampf verstrickt zu sein – wie zwei Hirsche, die ihre Geweihe nicht voneinander lösen können. Es sah so aus, als ob keine Seite in der Lage sei, die andere durch einen erfolgreichen Schlag in die Knie zu zwingen. Tom bemerkte aufkeimende Mutlosigkeit in den Gesprächen der Kunden: für ihn, der die Hoffnung auf Freiheit immer noch nicht aufgegeben hatte, ein kleiner Trost.
Die Familie erging sich in allerlei Spekulationen, als Old George eines Tages dunkle Andeutungen
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