Wurzeln
fast unterwürfigen Ton annahm.
»Bitte, Mister, schickt mich nicht so fort. Ich scheue mich vor keiner Arbeit. Ich will bloß nicht verhungern.«
»Hier ist nichts für dich zu tun. Meine Nigger machen das für mich.«
»Aber ich bin aufgewachsen in der Landwirtschaft. Ich kann härter arbeiten als Eure Nigger. Mister – ich will mich nur einmal anständig satt essen können«, beschwor ihn der Bursche.
»Wie heißt du denn? Und wo kommst du her, Junge?«
»George Johnson, aus Süd-Carolina, Sir. Der Krieg ist genau bei uns durchgetobt. Ich wollt bei der Armee mitmachen, aber ich bin zu jung, gerade sechzehn geworden. Der Krieg hat unsere Ernte und alles vernichtet – da findet kein Kaninchen mehr was zu fressen. Also bin ich abgehauen. Natürlich hab ich mir gedacht, irgendwo anders geht’s mir schon besser. Aber es scheint, die einzigen, die mich wenigstens einen Tag geduldet haben, das waren Eure Nigger.«
Matilda sah Masser Murray an, wie sehr ihn diese Geschichte des Jungen bewegte. Doch fast ungläubig hörte sie die nachfolgende Frage:
»Hm, könntest du dir vorstellen – den Aufseher zu machen?«
»Hab so was noch nie versucht.« George Johnson wirkte nicht gerade angenehm überrascht. Eher unschlüssig fuhr er fort: »Aber wie ich Euch versichert hab: es gibt nichts, was ich nicht versuchen würde.«
Matilda rutschte näher an den Rand des Fliegengitters, um in ihrer Angst ja kein Wort zu verpassen.
»Ich hab nämlich immer schon mit dem Gedanken an einen Aufseher gespielt, obwohl meine Nigger in der Feldarbeit an sich ganz ordentlich sind. Aber ich hätte nicht übel Lust, es mit dir zu probieren – sagen wir: Kost und Logis, für den Anfang. Mal sehen, was dabei herauskommt.«
»Mister – Sir – entschuldigt, ich weiß nicht Euren Namen?«
»Murray«, sagte der Masser.
»Einverstanden, Mister Murray. Vor Euch steht Euer neuer Aufseher.«
Matilda hörte, wie der Masser leise vor sich hin lachte. Dann kam noch ein Satz: »Hinter der Scheune ist ein leerer Schuppen. Dort kannst du einziehen. Wo sind deine Sachen?«
»Alles, was ich besitze, Sir, trag ich auf dem Leib«, sagte George Johnson.
Die schockierende Neuigkeit schlug bei der Familie wie ein Blitz ein.
»Man sollt’s einfach nicht für möglich halten, was ich da aufgeschnappt hab«, jammerte Matilda, als sie ihren unglaublichen Bericht beendet hatte. Die Mitglieder der Familie explodierten förmlich.
»Der Masser muß komplett verrückt geworden sein!«
»Wir halten seine Farm doch prima in Schwung, oder?«
»Weil beide weiß sind, das ist der Grund.«
»Wart’s nur ab, bis Murray merkt, daß dieses Bürschchen anders ist, als er sich das vorstellt – wenn nämlich die Karre schiefläuft.«
So wütend sie auch sein mochten – bereits die erste Begegnung mit diesem angeberischen Schuft, wie sie ihn nannten, draußen bei der Feldarbeit am folgenden Morgen, ließ ihren Ärger geringer werden.
Als sie nämlich die Felder unter der Führung von Virgil betraten. kam ihnen dieser blasse, mickrige George Johnson sogleich entgegen, sein schmales Gesicht verfärbte sich vor Verlegenheit, und sein Adamsapfel tanzte auf und ab.
»Ich kann’s euch nicht verübeln, wenn ihr stocksauer auf mich seid. Aber bitte, wartet doch erst mal ab, ob das nun alles so beschissen ausläuft, wie ihr das denkt. Ihr seid die ersten Nigger, mit denen ich im Leben überhaupt je zu tun hatte. Gut, ihr seid schwarz, und ich bin weiß. Na, wenn schon. Ich schätze Leute danach ein, wie sie sich verhalten. Eins steht fest: Ihr habt mir zu essen gegeben, als ich hungrig war – ’ne Menge Weißer hat das nicht getan. Jetzt hat sich Mr. Murray in den Kopf gesetzt, er braucht ’n Aufseher. Gut, ihr könnt mich bei ihm allemal wieder rausekeln. Aber wenn ihr das tut, wißt ihr, ob ihr nicht beim nächsten Mal einen wirklich schlechten Kerl erwischt?«
Keinem von der Familie schien darauf die passende Antwort einzufallen. Es blieb ihnen wohl auch nichts anderes übrig, als dieses Problem beiseite zu schieben und sich an die Arbeit zu machen, wobei sie freilich George Johnson heimlich beobachteten. Ja, er schuftete genauso wie sie, wenn nicht gar härter – er war wohl besessen von dem Wunsch, allen seine Aufrichtigkeit zu beweisen.
Eine Woche später wurde Tom und Irene die dritte Tochter, Viney, geboren.
Von jetzt an hockte sich George Johnson ungeniert während der Mittagspause mal zu dem einen, mal zu dem anderen der Familie, und er schien
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