Wurzeln
einer kleinen Lichtung, wo ein etwas größeres Zelt aufgeschlagen war, befahlen sie ihm stehenzubleiben. Sie erstatteten einem anderen Posten vor diesem Zelt ihre Meldung.
»Wache! Wir haben diesen Nigger beim Klauen erwischt«, sagte der erste und wies mit dem Kopf in Richtung auf das Zelt.
»Wir haben auf den Kerl aufgepaßt, aber der Major hat uns befohlen, ihm persönlich Bescheid zu sagen. Wir kommen wieder, wenn der Major auf ist.«
Dann überließen sie Tom dem dritten, der finster dreinschaute und knurrte: »Flach auf den Rücken, Nigger. Mach schon. Und wenn du einen Mucks tust, knall ich dich ab.«
Tom lag da wie befohlen. Der Boden war eiskalt. Er überlegte, was ihm geschehen konnte, wog erst die Chancen einer Flucht ab, dann die Folgen, die ihm daraus erwachsen mochten. Die Zeit dehnte sich, bis die Morgendämmerung heraufzog. Die beiden Soldaten kehrten zurück und horchten auf Geräusche aus dem Zelt. Endlich rumorte es drinnen – Major Cates war offenbar aufgestanden.
Einer der Männer rief leise: »Mit Verlaub, Major, können wir Euch sprechen?«
»In welcher Angelegenheit?« Die Stimme klang brummig und schlecht gelaunt.
»Wir haben den Niggerschmied festgenommen. Diebstahl, Sir, in der Nacht.«
Kurze Pause.
»Wo steckt er?«
»Zu Befehl, der Gefangene ist draußen, Sir.«
»Ich komme gleich.«
Nach einer Minute schlug die Zeltklappe zurück, Major Cates trat heraus und musterte Tom wie die Schlange das Kaninchen.
»Hör ich recht? Du klaust, eingebildeter Drecksnigger? Du weißt, was wir in der Armee von so was halten?«
»Masser –« Leidenschaftlich beschwor ihn Tom, sich die reine Wahrheit über den Vorfall anzuhören. Er schloß mit den Worten: »Er muß verdammt hungrig gewesen sein, Masser, wenn er da in den Abfällen rumgesucht hat.«
»So, du behauptest, ein weißer Mann wühlt da im Dreck herum. Ganz vergessen, daß wir beide uns schon kennen? Und daß ich nur zu gut weiß, was mit deiner Sorte los ist, Nigger? Hab schon ein Auge auf deinen Nigger-Vater gehabt, diesen freigelassenen Lümmel. Damals bist du mir entwischt. Aber diesmal – werden wir ganz einfach die Armeevorschriften anwenden.«
Tom sah mit ungläubig geweiteten Augen Cates auf das Gestell zugehen, wo sein Sattelzeug lag. Vom Knauf hing die Pferdepeitsche herab. Cates griff nach ihr. Toms Blicke wanderten hin und her – nur weg von hier, schoß es ihm durch den Kopf. Aber die drei Soldaten hatten bereits ihre Flinten auf ihn gerichtet. Langsam trat Cates heran. Sein Gesicht verzerrte sich, als er die geflochtene Peitschenschnur auf Toms Schultern niedersausen ließ. Und er schlug wieder zu, und noch einmal, und noch einmal …
Gedemütigt und erbittert zugleich, stolperte Tom zurück zu seinem Arbeitsplatz. Er warf sein Werkzeug zusammen, sprang auf das Maultier und jagte davon. Ihm war so einerlei, was ihm passieren mochte, wenn sie ihn erwischten. Er ritt ohne Halt, bis er das Herrenhaus erreichte. Masser Murray hörte, hochrot vor Ärger, was geschehen war. Tom endete mit der Beteuerung: »Was auch geschieht, Masser, ich werd nicht zurückgehn!«
»Gut, wenn der Major deinetwegen Ärger machen will, geh ich notfalls bis zum kommandierenden General. Darauf hast du mein Wort. Ich bedaure außerordentlich, was vorgefallen ist. Du begibst dich jetzt am besten in deine Werkstatt zurück und gehst an deine Arbeit.«
Masser Murray zögerte einen Augenblick.
»Noch was, Tom. Ich weiß, du bist nicht der Älteste. Aber Missis Murray und ich betrachten dich dennoch als das Oberhaupt eurer Familie. Ihr sollt wissen, daß wir alle für den Rest unseres Lebens gut miteinander auskommen wollen – wenn wir nur erst diese Yankees gebührend in die Schranken verwiesen haben. Denn das sind wahre Teufel in Menschengestalt.«
»Jasörr«, sagte Tom. Er dachte daran, daß es für einen Masser unmöglich sein würde, zu begreifen, daß von »gut miteinander auskommen« keine Rede sein konnte, solange der eine der Eigentümer des anderen war.
So verging das Frühjahr 1862. Irene sah sich abermals schwanger. Und was Tom da täglich an Neuigkeiten von den Weißen des Ortes erfuhr, die als Kunden zu ihm kamen, mußte ihm das Gefühl vermitteln, hier in Alamance County im trügerisch ruhigen Mittelpunkt eines Orkans zu leben, der ringsum tobte.
Er hörte von einer Schlacht bei Shiloh, wo Yankees wie Konföderierte jeweils 40000 Tote und Verwundete hatten. Die Überlebenden mußten sich, wie es hieß, den Weg mühselig
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