Wurzeln
war, rief Tom seine Tochter und eröffnete ihr ernst: »An der Art und Weise, wie du um diesen Burschen herumscharwenzelst, ist deutlich zu sehen, daß du in ihn verknallt bist. Habt ihr beide was Ernsthaftes vor, oder?«
»Was meinst du, Pappy?« Sie stotterte und bekam einen roten Kopf.
»Heiraten, was sonst? Das wollt ihr doch, oder?«
Sie konnte nicht sprechen.
»Hättst du mir eher was gesagt! Na gut, ich würd euch gern all meine Segenswünsche mitgeben, denn ich möchte, daß du so glücklich bleibst, wie du’s jetzt bist. Scheint ein ordentlicher Mann zu sein – aber – ich kann dir meine Einwilligung nicht geben.«
Elizabeth schaute ihn völlig fassungslos an.
»Der ist doch viel zu gelb. Der geht nirgends durch als ’n Weißer – nicht die Bohne. Er ist nicht Fisch noch Fleisch. Kapierst du, was ich meine? Zu hell für schwarze Leute, zu dunkel für weiße. Klar, er kann nichts dafür, wie er aussieht. Aber der kann sich auf ’n Kopp stellen – der gehört niemals nirgendwo richtig hin. Und du überlegst dir hoffentlich, wie dann deine Kinder aussehn mögen. So ’n Leben wünsch ich nicht für dich, Lizabeth.«
»Aber Pappy, jeder mag John. Wenn wir mit Old George Johnson auskommen – warum dann nicht auch mit ihm?«
»Das kann man nicht vergleichen.«
»Vater«, sie war ganz verzweifelt, »du redest über Leute, die ihn nicht akzeptieren. Du bist derjenige, der das nicht tut!«
»Schluß jetzt. Du hast alles gesagt, und ich hab alles gehört. Du hast keinen Mumm, dir solchen Kummer zu ersparen. Also tu ich’s für dich. Ich wünsche, daß du ihn nicht wiedersiehst.«
»Aber Pappy –«, sie schluchzte hilflos.
»Vorbei und vergessen. Ein für allemal.«
»Wenn ich John nicht heiraten kann«, kreischte Elizabeth, »dann werd ich niemals niemanden heiraten.«
Tom Murray drehte sich auf dem Absatz herum, verließ den Raum und knallte die Tür hinter sich zu. Erst im Nebenzimmer hielt er an.
»Tom, was machst du da –«, begann Irene und setzte sich stocksteif in ihrem Schaukelstuhl auf.
»Da ist kein Wort mehr darüber zu verlieren«, knurrte Tom böse und ging aus dem Haus.
Als Matilda davon erfuhr, war sie dermaßen aufgebracht, daß Irene sie davor zurückhalten mußte, sich auf Tom zu stürzen.
»Der Junge hat weißes Blut, von der väterlichen Seite«, schrie sie. Dann plötzlich begann Matilda zu zucken, sie preßte die Arme auf ihre Brust und taumelte gegen einen Tisch. Irene fing sie auf, als sie zu Boden zu stürzen drohte.
»Oh, mein Gott«, weinte Matilda auf, das Gesicht von Schmerzen verzerrt, »süßer Jesus. Oh, Gott, nein.« Ihre Augenlider zitterten, dann schlossen sie sich.
»Großmutter«, rief Irene und packte sie an den Schultern. »Großmutter!« Sie legte ihren Kopf auf Matildas Brust und horchte. Noch schlug das Herz. Aber zwei Tage später stand es still.
Hühner-George weinte nicht. Aber es ging etwas Herzergreifendes von seiner scheinbaren Gefühllosigkeit aus, von seinen Augen, die so leer schauten. Niemand konnte sich erinnern, daß er nach diesem Tag auch nur ein einziges Mal noch gelächelt oder auch nur ein persönliches Wort zu irgend jemandem gesagt hätte. Er und Matilda waren wohl nie allzu eng miteinander verbunden gewesen – so hatte es jedenfalls geschienen –, aber als sie gestorben war, mußte auch etwas von seiner eigenen Warmherzigkeit mit ihr dahingegangen sein. Er fing an zu verfallen, seine Haut wurde faltig – ja, er schien über Nacht ein Greis geworden zu sein –, doch er verwandelte sich nicht etwa in einen zittrigen oder törichten Alten, sondern wurde eher hart und bösartig. Er lehnte es ab, künftig noch in dem Blockhaus zu wohnen, das er mit Matilda geteilt hatte. Statt dessen nistete er sich erst bei dem einen Sohn oder bei einer Tochter ein, dann bei den nächsten, bis beide Seiten voneinander genug hatten und der alte Graukopf wieder weiterzog. Wenn er nicht gerade an irgend etwas herumzunörgeln hatte, saß er gewöhnlich in seinem Schaukelstuhl, den er als einziges mitzuschleppen pflegte, und starrte stundenlang grimmig auf die Felder.
An seinem dreiundachtzigsten Geburtstag hatte er es mürrisch abgelehnt, auch nur ein Stück von der Geburtstagstorte zu kosten, die man eigens für ihn gebacken hatte. Es war spät im Winter 1890, als er – diesmal bei seiner ältesten Enkelin Maria Jane – vor dem offenen Kaminfeuer herumdöste. Sie hatte ihn gebeten, schön stillzusitzen und sein schlimmes Bein ruhig zu legen,
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