Wurzeln
Füßen auf dem Teppich bleiben« – wie Old George Johnson formulierte, der so was bei einem Gespräch mit einer Gruppe weißer Männer in der Gemischtwarenhandlung mitbekommen hatte. Leider wurde Old George selbst als einer von »denen« betrachtet und gesellschaftlich gemieden. Er hatte in den Läden zu warten, bis alle anderen weißen Kunden bedient worden waren; und einmal passierte es ihm sogar, daß ein Kaufmann ihm trocken bedeutete, er habe den Hut gekauft und gefälligst zu bezahlen, den er gerade eben aufprobiert und in das Regal zurückgelegt hatte, weil er für ihn zu klein war. Das berichtete er der Familie später, türmte sich das Stück auch auf den Schädel, extra für sie, und jedermann lachte so schallend wie er.
»Hab mich doch schon gewundert, warum das Ding nicht paßt«, platzte Klein George heraus, »aber wenn du so dämlich bist, ausgerechnet in dem Saftladen aufzuprobieren –«
Ashford war natürlich, wie stets, so aufgebracht, daß er Drohungen ausstieß – versteht sich: leere –, er werde »dort hingehn und diesem Grünspecht den Filz in den Rachen schieben«. Wenn sich auch mit der weißen Gesellschaft des Ortes wenig Berührungspunkte ergaben – und umgekehrt gleichfalls –, so wußten doch Tom und die anderen recht gut, daß die Kaufleute der Stadt kaum ihre Genugtuung über den raschen Aufschwung der Geschäfte verbergen konnten, den sie ihnen zu verdanken hatten. Obwohl die Schwarzen meist ihre Kleider selbst anfertigten, einen Großteil ihrer Nahrungsmittel selbst anbauten und ihr eigenes Bauholz herstellten, entsprach das, was sie mengenmäßig an Nägeln, Wellblech und Stacheldraht in den folgenden Jahren kauften, durchaus der allgemeinen Zuwachsrate der sich entwickelnden Stadt.
Aber während all dies in den Jahren um 1864 emporwuchs: Häuser, Schuppen, Ställe und Zäune, ließ die Familie – angehalten von Matilda – ein Anliegen niemals aus den Augen, das ihnen nicht weniger wichtig für ihr Wohlergehen erschien: den Bau einer Kirche, um jene provisorische Buschkapelle zu ersetzen, die sie bis dahin als Platz für den Gottesdienst benützt hatten.
Das kostete die Familie fast ein Jahr und manches von ihren Ersparnissen. Aber als endlich Tom, seine Brüder und deren Söhne auch den letzten Kirchenstuhl fertiggeschreinert hatten und als Irenes handgewebtes Leinentuch, mit einem eingearbeiteten purpurroten Kreuz, die Kanzel schmückte, von der aus man direkt auf ein prachtvolles zweihundertfünfzig Dollar teures buntes Glasfenster vom Versandhaus Sears, Roebuck, schauen konnte, da war sich jedermann einig darüber, daß die »methodistisch-episkopale Kirche für Farbige NEUE HOFFNUNG« jeden Zeitaufwand, die Anstrengung und alle Kosten wert war.
So viele Menschen nahmen an dem Gottesdienst an diesem ersten Sonntag teil – darunter fast jeder Schwarze im Umkreis von zwanzig Meilen, der überhaupt gehen oder, wenn nicht, dann wenigstens hergefahren werden konnte –, daß die Massen sich in den Türen drängten, ganz zu schweigen von denen, die mit einem Platz außen an den Fenstern oder gar auf dem Rasen ringsherum vorliebnehmen mußten. Aber kein einziger hatte Mühe, der wohlklingenden Predigt von Reverend Sylus Henning zu folgen, dem ehemaligen Sklaven von Dr. D.C. Henning, einem Direktor der Illinois-Central-Eisenbahn und überaus wohlhabenden Grundbesitzer dieser Gegend. Während seiner feierlichen Rede flüsterte Klein George leicht respektlos Virgil etwas zu – der nickte: ja, mitunter hatte man den Eindruck, als bilde sich der Prediger ein, selbst der allmächtige Dr. Henning zu sein. Aber niemand in Hörweite würde es gewagt haben, die heilige Inbrunst seiner Verkündigung in Frage zu stellen. Noch einmal erklang das zu Herzen gehende Chorlied »Jesus, meine Zuversicht«, angestimmt von Matilda, die Hühner-George strahlender erschien als je zuvor. Die Gläubigen trockneten ihre Tränen und zogen hinter dem Priester zur Tür, wobei sie ihm die Hand drückten oder ihm dankbar auf die Schulter klopften. Dann nahmen sie ihre in der Vorhalle abgestellten Picknickkörbe auf, breiteten Tischtücher auf dem Rasen aus, und nun ließ es sich jedermann wohl schmecken: es gab gebratenes Huhn, belegte Brote mit Rippchen, harte Eier mit Paprika und Mayonnaise, Kartoffelsalat, frische Kohlschnitten, Gurken, Maiskuchen, Limonade und so viele verschiedene Arten von Plätzchen und Torten, daß sogar Klein George schnaufen mußte, als er glücklich das letzte Stück
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