Wurzeln
gewünscht, seine eigenen beiden Söhne möchten halb soviel Grütze im Kopf haben wie offensichtlich Will. Im übrigen fühlte sich Tom von dem so verdammt ernsthaften, ehrgeizigen und wachen Will Palmer an sich selber erinnert, als er jünger war. Niemand hatte erwartet, daß die Liebeswerbung sich hier so rasch entwickeln würde. Zehn Monate später, im »Wohnzimmer« von Tom und Irenes neuem 4-Zimmer-Haus, erklärte sich Will Cynthia, die ihr Jawort kaum bis zum Ende seiner feierlichen Rede zurückhalten konnte. Schon am dritten Sonntag danach wurden sie in der »Neuen Hoffnung MEK« getraut. Bei der Feier waren wohl über zweihundert Leute anwesend, darunter bald die Hälfte aus Nord-Carolina, mit der Eisenbahn angereist, dann die Kinder und wer überhaupt auf den über das ganze Lauderdale County verstreuten Farmen lebte.
Will erbaute eigenhändig und mit seinem eigenen Werkzeug ihr kleines Häuschen, in dem ein Jahr später ihr erstes Kind geboren wurde, ein Sohn, der freilich schon nach wenigen Tagen starb. Er gönnte sich in seinem Arbeitseifer unter der ganzen Woche keinen freien Tag, um so weniger, als der ständig betrunkene Eigentümer der Bauholzhandlung inzwischen dem Alkohol so weit verfallen war, daß Will praktisch das gesamte Geschäft allein betreuen mußte. Als er an einem stürmischen Freitagnachmittag die Geschäftsbücher kontrollierte, stellte er fest, daß am gleichen Tag ein Wechsel fällig geworden war. Er warf sich sofort aufs Pferd und ritt acht Meilen durch strömenden Regen, bis er an die rückwärtige Tür des Privathauses des Bankiers klopfen konnte.
»Mr. Vaughan«, sagte er, »diesen Wechsel kann Mr. James nur vergessen haben. Ich bin hundertprozentig sicher, daß er ihn am Montag früh einlösen wird.«
Man bat ihn ins Haus, damit er sich aufwärmen könne, aber er sagte nur: »Nein, danke, Sörr. Cynthia würde sich Sorgen machen, wo ich bleibe.« Dann wünschte er dem Bankvorsteher eine gute Nacht und ritt zurück durch den Regen. Vaughan war tief beeindruckt, und er versäumte nicht, den Vorfall in der ganzen Stadt zu verbreiten.
Im Herbst 1893 wurde Will unerwartet auf die Bank gebeten. Während des kurzen Weges dorthin zerbrach er sich den Kopf darüber, was man von ihm wollte. In der Bank warteten bereits zehn Herren auf ihn, die führenden weißen Geschäftsleute der Stadt, allesamt mit roten Gesichtern und durchaus verlegen. Bankier Vaughan erklärte mit kurzen Sätzen, daß der Eigentümer der Bauholzhandlung sich für bankerott erklärt habe. Er wolle außerdem den Ort mitsamt seiner Familie für immer verlassen.
»Henning braucht dieses Holzgeschäft«, sagte der Bankier, »wir alle, die Sie hier sehn, diskutieren darüber seit Wochen. Und wir wüßten keinen Besseren, das Geschäft fortzuführen, als Sie, Will. Wir haben uns darüber geeinigt, daß wir gemeinsam die Schulden des Geschäftes bezahlen, damit Sie es als neuer Eigentümer übernehmen können.«
Als Will Palmer wortlos die Reihe der weißen Männer entlangging, liefen ihm Tränen über die Wangen. Nachdem er jede Hand doppelt geschüttelt und gedrückt hatte, unterschrieb Vaughan unverzüglich den Vertrag. Und einer nach dem anderen verließ rasch die Bank, um nicht seine Rührung zeigen zu müssen. Als alle gegangen waren, hielt Will lange die Hand des Bankiers fest.
»Mr. Vaughan, ich hab noch eine große Bitte. Nehmen Sie die Hälfte meiner Ersparnisse und schreiben Sie darüber einen Scheck zugunsten von Mr. James aus. Und bitte – Sie werden ihn niemals wissen lassen, von wem er gekommen ist, nicht wahr?«
Innerhalb eines Jahres zog Wills geschäftlicher Grundsatz – immer bestmögliche Ware und Dienstleistung zum niedrigst möglichen Preis zu liefern – Kunden selbst aus den Städten der näheren Umgebung an. Die Leute, überwiegend Schwarze, kamen sogar mit Wagen extra aus dem fünfundachtzig Meilen südlich gelegenen Memphis, um mit eigenen Augen dieses erste von einem farbigen Eigentümer betriebene Geschäft seiner Art im westlichen Tennessee zu besichtigen – wo Cynthia gekräuselte und gestärkte Gardinen in die Fenster gehängt und Will mit eigener Hand das große Ladenschild über dem Eingang gepinselt hatte:
»W. E. PALMER – BAUHOLZ«.
Kapitel 117
Cynthias und Wills Gebete wurden 1895 mit der Geburt eines kräftigen, gesunden Mädchens erhört, dem sie die Namen Bertha George gaben – George nach Wills Vater. Cynthia bestand darauf, die Familienmitglieder in ihrem Haus zu
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