Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wurzeln

Wurzeln

Titel: Wurzeln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Haley
Vom Netzwerk:
versammeln, um in deren Gegenwart dem immer wieder glucksenden Baby die ganze Ahnengeschichte bis zurück zu dem afrikanischen Vorfahren Kunta Kinte zu erzählen – genauso wie sie Tom Murray all seinen Kindern nach und nach erzählt hatte, als sie klein waren.
    Natürlich respektierte Will Palmer die Verehrung Cynthias für das Andenken an ihre Vorfahren, aber es forderte auch seinen eigenen tiefen Stolz heraus, womöglich als jemand angesehen zu werden, der in Cynthias Familie eingeheiratet hatte – anstatt die Sache etwa umgekehrt zu betrachten. Das war vermutlich der Hauptgrund, warum er anfing, die kleine Bertha, noch bevor sie laufen lernte, mit seinen Besitzansprüchen fast zu erdrücken. Jeden Morgen trug er sie hin und her, ehe er zur Arbeit ging. Und jeden Abend bestand er darauf, sie zu Bett zu bringen, in die kleine Wiege, die er eigenhändig für sie gezimmert hatte.
    Als Bertha fünf war, pflegte der Rest der Familie und ein nicht gerade geringer Teil der schwarzen Bevölkerung der Stadt das als eigene Meinung herumzutratschen, was ursprünglich nur ein Zitat von Cynthia gewesen war: »Will Palmer ist auf dem besten Weg, das arme Kind in Grund und Boden zu verwöhnen.«
    Er hatte vereinbart, daß ihr jeder Laden in Henning, der Süßigkeiten verkaufte, Kredit einräumte. Das Kind mußte zwar immer genau abrechnen, und er überprüfte das ernsthaft unter dem Vorwand, »ihr die Grundbegriffe des Geschäftslebens beizubringen« – doch er bezahlte prompt jeden Monat.
    Als Geschenk zum fünfzehnten Geburtstag eröffnete er ihr unter eigenem Namen ein Versandkonto bei Sears, Roebuck. Und das bewirkte nun tatsächlich bei den Leuten Kopfschütteln, betretenes Erstaunen und verletzte ihren Stolz.
    »Alles, was diese grüne Göre zu tun hat, ist, aus dem bunten Bilderkatalog rauszupicken, was ihr gefällt, den Auftrag zu unterschreiben, und im Nu schicken ihr die Sears, Roebuck, oben in Chicago den ganzen Krempel, als wär sie ’ne Weiße – hab’s schließlich mit eigenen Augen gesehn –, und ihr Alter muß blechen! – Ihr hört, was ich euch sage, Kinder? Alles, was Bertha haben möchte!«
    Noch im gleichen Jahr stellte Will einen Lehrer an, der einmal in der Woche den weiten Weg von Memphis anreiste, nur um Bertha Klavierstunden zu geben. Sie erwies sich als begabte Schülerin, und nach kurzer Zeit spielte sie bereits für den Chor der »Neue Hoffnung MEK«, in der Will Kirchenvorstandsältester war und Cynthia die ständig wiedergewählte Vorsitzende der weiblichen Kuratoriumsrunde.
    Als Bertha die örtliche Schule mit der achten Klasse im Juni 1909 abgeschlossen hatte, war es fast selbstverständlich, daß sie nun Henning verlassen würde, um das von den Methodisten-Gemeinden unterhaltene Lane-Institut im dreißig Meilen entfernten Jackson, Tennessee, zu besuchen, in dem es eine mit der neunten Klasse beginnende zweijährige Collegestufe gab. »Mädchen, hast ja keine blasse Ahnung – was das überhaupt bedeutet: da biste die erste von der ganzen Familie, wo aufs College geht –«
    »Mom, wenn ich dich und Pa doch bloß dazu bringen könnte, grammatikalisch korrekt zu sprechen. Es heißt ›du bist‹ und nicht ›biste‹, und ›wo geht‹ klingt doch scheußlich.«
    Als Cynthia allein mit ihrem Gatten war, weinte sie.
    »Herrgott, hilf uns mit ihr, Will, sie versteht uns nicht mehr.«
    »Vielleicht ist das sogar besser«, versuchte er, sie zu trösten, »ich weiß bloß, daß ich meinen letzten Blutstropfen dafür opfern würde, damit sie bessere Chancen hat wie wir früher.«
    Nicht anders als erwartet glänzte Bertha mit einem beständig hohen Notendurchschnitt – sie studierte Pädagogik mit dem Ziel, Lehrerin zu werden –, und darüber hinaus spielte sie weiter Klavier und sang im Chor. Zweimal im Monat verbrachte sie die Wochenenden zu Haus, und bei dieser Gelegenheit überredete sie ihren Vater, die Seitenwände seines Lieferwagens mit ein bißchen Reklame zu versehen:

    HENNING 121
    hilft früh und spät,
    wenn’s um Bauholz geht!

    Henning war nämlich gerade eben an das Telefonnetz angeschlossen worden, und der kleine Spruch, der bald seine Runde durch die ganze Stadt machte, galt als typisches Beispiel für ihren schlagfertigen Witz.
    Bei späteren Besuchen fing Bertha an, einen jungen Mann zu erwähnen, den sie im Chor des Colleges kennengelernt hatte, Simon Alexander, der stammte aus einem Ort namens Savannah, Tennessee. Sie erzählte, wie arm er sei und daß er manchmal vier

Weitere Kostenlose Bücher