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Wurzeln

Wurzeln

Titel: Wurzeln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Haley
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Hütte wäre! Selbstverständlich kannte er auch diese vier, doch keinen so gut wie seinen yayo- Bruder, und ihm sank das Herz. Aber vielleicht ist das Absicht? überlegte er. Man gönnt uns wahrscheinlich nicht einmal diesen kleinen Trost. Und da er Hunger verspürte, dachte er auch gleich noch: zu essen kriegen wir wohl auch nichts.
    Kurz nach Sonnenuntergang stürmte einer der Gehilfen des kintango in die Hütte, rief: »Raus mit euch!« und schlug gleich wieder mit dem Stecken auf die Jungen ein. Man trieb sie mit viel Geschimpfe und Stockschlägen im Dunkeln zusammen, bis sie, sich an den Händen haltend, eine Formation gebildet hatten, und der kintango eröffnete ihnen, sie würden nunmehr einen Nachtmarsch in den Wald unternehmen. So geschah es auch, und da die Jungen nicht daran gewöhnt waren, im Dunkeln einem Waldpfad zu folgen, wurde ihnen mit reichlich Stockschlägen beigebracht, wie man dies macht. »Du trabst durch die Gegend wie ein Büffel!« hörte Kunta ganz nahe jemand sagen. Ein Junge rief laut »Au!«, als er geschlagen wurde, und schon wollten die Gehilfen wissen, wer das gewesen war. Darauf prügelten sie nur um so unnachsichtiger drauflos. Fortan unterblieb jedoch alles Wehgeschrei.
    Bald schon begannen Kuntas Beine zu schmerzen, nicht so bald allerdings und nicht so sehr, wie es der Fall gewesen wäre, hätte Kunta nicht von seinem Vater den lockeren Wanderschritt gezeigt bekommen, damals auf der Reise ins Dorf der Onkel. Er freute sich darüber, daß den anderen die Beine bestimmt schlimmer weh taten als ihm, denn sie verstanden sich gewiß nicht so gut aufs Gehen. Allerdings hatte er noch nicht gelernt, wie man Hunger und Durst bezwingt, und als man endlich nahe einem Bach Rast machte, knurrte sein Magen, und im Kopf war ihm sonderbar leicht. Der helle Mond spiegelte sich auf dem Wasser, das sich aber schon kräuselte, weil die durstigsten Jungen am Ufer hinknieten und mit der Hand Wasser schöpften. Die Gehilfen scheuchten sie aber gleich weg vom Bach, sie befahlen, nur wenig zu trinken, und verteilten getrocknetes Fleisch an ihre Zöglinge. Diese gruben die Zähne in das Fleisch wie Hyänen, und Kunta kaute und schluckte so hastig, daß er kaum merkte, wonach das, was er da ergattert hatte, eigentlich schmeckte.
    Alle Knaben hatten Blasen an den Füßen, Kunta nicht ausgenommen, doch machte er sich nichts daraus, denn jetzt hatte er gegessen und getrunken. Man ließ sich am Ufer des Baches nieder, und daß jetzt nicht gesprochen wurde, lag nicht daran, daß man voreinander scheu war, sondern an der allgemeinen Müdigkeit. Kunta und Sitafa wechselten vielsagende Blicke, doch konnte keiner von beiden erkennen, ob der andere sich so jämmerlich fühlte wie er selber.
    Man hatte kaum die Füße im Wasser gekühlt, als der kintango Aufstellung zum Rückmarsch in den jujuo befahl. Dort kam man gerade bei Tagesanbruch an, und Kunta hatte kaum noch Gefühl in den Beinen. Sein Kopf war ganz dumpf. Er fühlte sich sterbensmatt, stolperte in der Hütte über einen Kameraden, der bereits vor ihm angelangt war, fiel zu Boden und schlief auf der Stelle ein.
    So ging das nun sechs Nächte lang, und jede Nacht war der Marsch länger. Die mit Blasen übersäten Füße schmerzten fürchterlich, allerdings stellte Kunta in der vierten Nacht fest, daß ihm die Schmerzen gar nicht mehr so zusetzten und daß sich an ihrer Stelle eine recht willkommene Empfindung einstellte, nämlich Stolz. In der sechsten Nacht erwies sich, daß man einander nicht mehr bei den Händen halten mußte, um die Tuchfühlung nicht zu verlieren, obschon auch diese Nacht stockfinster war.
    In der siebten Nacht erteilte der kintango den Jungen erstmals persönlich eine Unterweisung: er zeigte ihnen, wie man sich nachts im Wald nach den Sternen orientiert. Nach einem halben Mond konnten alle Knaben die Marschkolonne, den Sternen folgend, zum jujuo zurückführen. Als Kunta an der Reihe war, wäre er fast auf eine Buschratte getreten, die ihn nicht bemerkt hatte, und Kunta war ebenso verblüfft wie geschmeichelt, denn dies bedeutete, daß er und die ihm folgten, sich so leise bewegten, daß nicht einmal Tiere sie wahrnahmen.
    Der kintango erklärte ihnen sodann, daß die Tiere ihre besten Lehrmeister auf der Jagd seien; und für den Mandinka sei es ungemein wichtig, das Jagen zu erlernen. Als der kintango sich überzeugt hatte, daß seine Schützlinge die Technik des Marsches beherrschten, zog er sich für einen weiteren halben Mond mit

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