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Wurzeln

Wurzeln

Titel: Wurzeln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Haley
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geweint, er sehnte sich danach, Omoro, Binta und Lamin noch einmal anzufassen, selbst den rotznäsigen Suwadu, denn es schien ihm unvorstellbar, vier ganze Monde getrennt sein zu sollen von denen, die er mehr liebte, als er gewußt hatte. Seine Ohren sagten ihm, daß er und sein Führer sich in eine Kolonne eingereiht hatten, die im Takt zu den raschen Trommelschlägen marschierte. Als es zum Tor hinausging – er merkte das daran, daß der Lärm plötzlich viel gedämpfter war –, spürte er heiße Tränen aufsteigen und über seine Wangen laufen. Er kniff die Lider fest zusammen, wie um die Tränen vor sich selber zu verbergen.
    So wie er Bintas Anwesenheit in der Hütte gespürt hatte, so spürte er jetzt die Angst seiner kafo- Ka­me­ra­den vor und hinter sich; es war, als könnte er diese Angst riechen, und sie war ebensogroß wie seine eigene. Nun schämte er sich der eigenen Angst nicht mehr gar so sehr. Als er so unter der weißen Kapuze dahintrottete, wurde ihm klar, daß er nicht nur Eltern und Geschwister und den Ort seiner Geburt hinter sich ließ, und das erfüllte ihn mit Schrecken und auch mit Kummer. Und doch, es mußte sein, schon sein Vater hatte dies auf sich nehmen müssen, und dereinst würde sein, Kuntas, Sohn es ebenfalls auf sich nehmen müssen. Er würde ja wiederkehren, allerdings als Mann.

Kapitel 23
    Man näherte sich einer erst kürzlich in einen Bambushain geschlagenen Lichtung, das war zu riechen, denn frisch geschnittenes Bambusrohr duftet stark. Stärker und stärker wurde der Geruch, dann wieder schwächer: also mußte es eine Palisade aus Bambus gewesen sein, die man durchschritten hatte. Die Trommeln verstummten ganz plötzlich, die Kolonne hielt an. Minutenlang bewegte sich niemand, wurde kein Wort gesprochen. Kunta lauschte angestrengt, ob irgendein Geräusch ihm verriet, wo man war, doch hörte er nur das Kreischen von Papageien und das Geschnatter der Affen.
    Plötzlich wurde ihm die Kapuze abgezogen, und Kunta stand blinzelnd im hellen Nachmittagslicht. Er wagte nicht, sich nach seinen Kameraden umzusehen, denn vor ihm stand einer der Ältesten, der runzlige Silla Ba Dibba. Kunta kannte ihn und die Seinen, alle Jungen im Dorf kannten ihn, Silla Ba Dibba allerdings tat, als sähe er Kunta und dessen kafo zum erstenmal und als wäre ihm nicht angenehm, was er da sah. Er betrachtete sie nicht anders, als er Gewürm betrachtet haben würde, und Kunta wußte gleich: das ist unser kintango. Ali Sise und Soru Tura, zwei jüngere Männer, standen rechts und links von ihm, und auch die kannte Kunta gut; Soru war mit Kuntas Vater eng befreundet. Zum Glück war Omoro nicht da, er brauchte nicht mit anzusehen, wie ängstlich sein Sohn war.
    Alle dreiundzwanzig Knaben des kafo grüßten, wie man es ihnen eingeschärft hatte, indem sie die Handflächen gegen das Herz drückten und den traditionellen Gruß »Frieden« sprachen, worauf der alte kintango und seine beiden Gehilfen mit »Nur Frieden« antworteten. Kunta sah aus dem Augenwinkel, daß man sich auf einer Lichtung befand, die mit kleinen Hütten aus Lehm, bekrönt von Flechtdächern, bestanden war. Ein hoher Bambuszaun faßte das alles ein. Kunta sah auch, daß die Dächer und Wände der Hütten ausgebessert worden waren, zweifellos von den Vätern, die für einige Tage aus dem Dorf abwesend gewesen waren. Er nahm dies alles ohne jede Bewegung des Kopfes wahr. Im nächsten Moment allerdings erschrak er mächtig, denn der kintango sprach zu ihnen mit starker Stimme:
    »Kinder haben Juffure verlassen, und wenn sie als Männer wiederkehren sollen, muß ihnen die Furchtsamkeit ausgetrieben werden, denn ein furchtsamer Mensch ist ein schwacher Mensch, und ein schwacher Mensch ist für seine Familie, sein Dorf und seinen Stamm eine Gefahr.« Er sah die Knaben an, als hätte er nie eine jämmerlichere Versammlung zu Gesicht bekommen, und wandte sich dann ab. Sogleich trieben seine Gehilfen die Jungen in die ihnen zugewiesenen Hütten, und zwar taten sie das mit Stockschlägen, so wie man Geißen auf die Weide treibt.
    Kunta und die vier Kameraden, die mit ihm eine kahle Hütte teilen sollten, spürten allerdings nicht mehr den Schmerz der Prügel, die sie abbekommen hatten, als sie da beieinander kauerten, viel zu beschämt, um einander anzusehen. Erst als einige Minuten vergangen waren und man hoffen durfte, vorderhand nicht mehr behelligt zu werden, betrachtete Kunta verstohlen seine Mitbewohner. Wenn er doch nur mit Sitafa in einer

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