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Wurzeln

Wurzeln

Titel: Wurzeln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Haley
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dem ganzen kafo tief in den Busch zurück, wo man in selbsterrichteten Schutzhütten nächtigte und zahllose Lektionen im Jagen bekam. Kunta schien es, als käme er überhaupt nicht mehr zum Schlafen; kaum hatte er ein Auge zugetan, scheuchte ihn einer der Gehilfen des kintango bereits wieder auf.
    Er lernte erkennen, wo Löwen gelauert, bevor sie eine Antilope gerissen hatten, wo sie sich nach ihrer Mahlzeit zum Schlaf niedergelegt hatten. Man verfolgte die Antilopenfährte rückwärts, und so ließ sich ermitteln, wie die Tiere ihren Tag verbracht hatten, bevor sie auf die Löwen gestoßen waren. Man zeigte dem kafo die breiten Spalten im Fels, wo wilde Hunde und Hyänen hausten, und unterwies sie in allen möglichen jägerischen Kniffen, von denen sie nichts geahnt hatten. So etwa wußten sie nicht, daß der gute simbon niemals eine abrupte Bewegung macht. Der kintango erzählte den Jungen die Geschichte von dem ungeschickten Jäger, der inmitten eines reichen Wildbestandes verhungert war, weil seine tapsigen Bewegungen alle Tiere aufscheuchten, worauf sie sich still und leise davonmachten, ohne daß der Tölpel überhaupt merkte, daß welche dagewesen waren.
    Als es ans Imitieren von Tier- und Vogelstimmen ging, kamen die Knaben sich dann auch ebenso ungeschickt vor wie jener Tölpel. Sosehr sie auch pfiffen und grunzten, kein Vogel und kein Schwein fiel darauf herein. Man befahl ihnen, sich zu verstecken und ganz still zu verhalten, und dann stießen der kintango und seine Gehilfen genau jene Laute aus, welche die Knaben ausgestoßen zu haben glaubten, doch nun zeigten sich Tiere, die mit schräggestelltem Kopf Ausschau hielten nach dem, der da gerufen hatte.
    Eines Nachmittags, man übte wieder das Anlocken von Vögeln, ließ sich überraschend ein schwerer Vogel mit langem Schnabel ganz nahebei im Busch nieder. »Da!« rief einer der Jungen und lachte laut. Den anderen sank das Herz, denn sie wußten: seinetwegen würden wieder alle bestraft werden. Wie oft hatte der nicht schon bewiesen, daß er immer erst handelte und hinterher dachte – wenn überhaupt! Diesmal allerdings überraschte sie der kintango. »Geh und bring mir den Vogel – lebend!« befahl er dem Übeltäter, und Kunta und seine Kameraden sahen atemlos zu, als der Gescholtene sich kriechend der Stelle näherte, wo der große dumme Vogel hockte und den Kopf mal hierhin, mal dorthin drehte. Allerdings gelang es ihm, dem Knaben zu entwischen, als dieser sich auf den Vogel warf, und mit angstvollen Flügelschlägen brachte er sich immerhin so weit in die Höhe, daß er außer Reichweite seines Verfolgers blieb, der nun bald den Blicken der anderen entschwand.
    Die Zurückgebliebenen waren wie vom Donner gerührt. Offenbar konnte der kintango ihnen befehlen, was er wollte. Während der beiden folgenden Tage und Nächte wechselten die Zöglinge manchen fragenden Blick, ohne allerdings ihre Neugier und Sorge um den fehlenden Kameraden hörbar Ausdruck zu geben. Zwar hatten sie sich oftmals über ihn ärgern müssen, wenn sie seinetwegen geprügelt worden waren, aber jetzt, wo er nicht mehr da war, schien es, als fehle er ihnen sehr.
    Als sie sich bei Anbruch des vierten Tages erhoben, kündigte der Ausguck an, daß jemand sich dem jujuo näherte, und gleich darauf meldete er den Vogelfänger. Man begrüßte ihn stürmisch wie einen Bruder, der nach langer Reise aus Marrakesch zurückkehrt. Er taumelte ein wenig, doch obwohl er voller Schrammen war und ziemlich abgemagert, grinste er matt, und dazu hatte er auch Grund, denn unterm Arm hielt er den Vogel, Schnabel und Beine mit Lianen zusammengeschnürt wie ein Paket. Der Vogel war noch schlimmer zugerichtet als der Junge, doch lebte er noch.
    Der kintango trat herzu, und obwohl er seine Worte an den Vogelfänger richtete, waren doch alle damit gemeint: »Du hast jetzt zwei wichtige Dinge gelernt! Tu, was man dir sagt, und halte den Mund. Nur wer das kann, darf darauf rechnen, ein Mann zu werden.« Und Kunta bemerkte, daß der Vogelfänger als erster aller Knaben einen lobenden Blick vom kintango erhielt, der selbstverständlich gewußt hatte, daß der Knabe früher oder später einen Vogel einfangen würde, der so schwer war, daß er sich praktisch nur hüpfend fortbewegen konnte.
    Man briet den großen Vogel, und alle aßen mit Appetit davon, ausgenommen derjenige, der ihn gefangen hatte; der war so müde, daß er einschlief, bevor das Tier gebraten war. Man gestattete ihm, den ganzen Tag und auch

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