Wurzeln
man wegbleibt, indem man nahe der Hütte einen Tuchfetzen aufhängt, der auf besondere Weise gefaltet ist; auch die Art und Weise, wie man Sandalen vor der Hütte arrangiert, ist für die Männer des Stammes sehr aufschlußreich, doch am aufregendsten fand Kunta das sira kango , die Männersprache. in welcher die eigentliche Mandinkasprache so verändert wird, daß sie nur Männern verständlich ist; Kinder und Frauen dürfen es nicht erlernen, und auch nicht die Angehörigen fremder Stämme. Kunta erinnerte sich jetzt, den Vater gelegentlich rasch und unverständlich mit einem anderen Mann sprechen gehört zu haben; er hatte nie gewagt, um eine Erklärung dafür zu bitten. Jetzt, da sie diese Sprache lernten, benutzten die Burschen sie unter sich fast ausschließlich.
Am Ende eines jeden Mondes wurde in jeder Hütte ein Stein in eine Schale gelegt, der anzeigte, wie viele Monde man bereits fern von Juffure war. Wenige Tage nachdem der dritte Stein in die Schale gelegt worden war, erblickten die im Hof mit Ringen beschäftigten Burschen am Eingang zum jujuo eine Gruppe von Männern, fünfundzwanzig oder dreißig mochten es sein. Man erkannte ältere Brüder, Onkel, Väter. Kunta packte freudiges Erschrecken, als er zum erstenmal nach drei Monden seinen Vater sah, doch irgendwas warnte ihn davor, seiner Freude sichtbar und hörbar Ausdruck zu geben, noch bevor er bemerkte, daß sein Vater mit keiner Miene zu erkennen gab, daß er den Sohn gesehen hatte.
Nur ein einziger Knabe lief, den Namen seines Vaters rufend, auf diesen zu, und der Vater nahm dem zunächst stehenden Gehilfen den Stecken weg und schlug damit auf seinen Sohn ein, wobei er ihn dafür tadelte, daß er seine Gefühle merken ließ, was ja nur beweise, daß er noch ein Kind sei! Unnötigerweise setzte er bei den letzten Schlägen noch hinzu, von seinem Vater habe dieser Sohn keine Bevorzugung zu erwarten. Der kintango befahl sodann dem gesamten kafo , sich auf den Bauch zu legen, und die Besucher schritten die ganze Reihe ab und hauten mit ihren Spazierstöcken auf die Burschen ein. Kunta wurde von einem Aufruhr der Gefühle befallen: Gegen die Prügel hatte er nichts, denn die erkannte er als das, was sie waren: eine weitere Abhärtung. Aber er litt darunter, daß er den Vater weder umarmen noch auch nur mit ihm reden durfte; daß er sich danach sehnte, kam ihm unmännlich vor, und auch darunter litt er.
Nach dieser Generalverprügelung mußten die Burschen auf Befehl des kintango laufen, springen, tanzen, ringen und beten, was alle Väter, Onkel und älteren Brüder schweigend mit ansahen, woraufhin sie wieder abzogen, nicht ohne dem kintango und seinen Gehilfen überschwenglich zu danken. Den Burschen jedoch, die mit niedergeschlagenen Augen vor ihnen standen, gönnten sie keinen Blick. Weil dies die Jungen unglücklich machte, bekamen sie gleich noch einmal Schläge: bei der Zubereitung des Abendessens dürfe nicht geschmollt werden. Diesmal traf sie das besonders hart, weil der kintango und die Gehilfen so taten, als wäre überhaupt kein Besuch dagewesen. Als man vor dem Schlafengehen noch einmal Ringkämpfe aufführte – diesmal ohne besonderen Eifer –, sagte einer der Gehilfen zu Kunta: »Du hast einen neuen Bruder, er heißt Madi.«
Da sind wir nun also vier, dachte Kunta vor dem Einschlafen, vier Söhne für Mutter und Vater. Wie sich das wohl in den Erzählungen der griots ausnehmen würde, wenn die nach Hunderten von Regen die Saga der Familie Kinte überlieferten? In Juffure würde er nach Omoro der zweite Mann in der Familie sein. Nicht nur lernte er, was man wissen mußte, um als Mann zu gelten, er lernte vieles, vieles andere, was er an Lamin weitergeben konnte, dem er ohnehin schon so manches beigebracht hatte. Alles, was Knaben wissen dürfen, wollte er ihn lehren, damit Lamin den kleinen Suwadu belehrte, der seinerseits den neuen Bruder belehren würde, den Kunta noch nicht gesehen hatte, dessen Namen er aber kannte: Madi. Im Einschlafen dachte er: eines Tages habe ich selber Söhne, und dann beginnt alles von vorn.
Kapitel 24
Eines Morgens sagte der kintango vor versammeltem kafo: »Ihr seid bald keine Kinder mehr, ihr werdet als Männer wiedergeboren.« Zum erstenmal wandte der kintago das Wort »Männer« auf sie an, das zuvor nur immer bezeichnet hatte, was sie noch nicht waren. Sie würden nun allmählich, nach Monden gemeinsamen Lernens und Gezüchtigtwerdens, erkennen, daß jeder zwei Seelen hat – eine in seinem
Weitere Kostenlose Bücher