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Wurzeln

Wurzeln

Titel: Wurzeln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Haley
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die Nacht durchzuschlafen, die Kunta und die anderen beim Jagdunterricht verbrachten. Tags darauf erzählte der Vogelfänger in der ersten Unterrichtspause den anderen, wie schlimm es ihm ergangen war und wie er endlich nach zweieinhalb Tagen eine Falle gebaut hatte, in die der Vogel dann auch getappt war. Nachdem er das Tier verschnürt hatte, sei es ihm gelungen, einen Tag und eine Nacht später, den Sternen folgend, wie erlernt, den jujuo zu erreichen. Dieser Vorfall machte den Knaben bei seinen Kameraden allerdings nicht sonderlich beliebt. Kunta war nicht gerade neidisch auf ihn, doch der Junge schien zu meinen, er habe sich vor seinen Kameraden ausgezeichnet, worin das wortlose Lob des kintango ihn bestärkte. Als wieder einmal Ringen geübt wurde, nahm Kunta sich den Vogelfänger vor und warf ihn recht unsanft auf den Rücken.
    Nach zwei Monden dieser Ausbildung bewegten die Burschen sich nachts im dunklen Wald so sicher wie tags im heimischen Dorf. Sie spürten die Fährte aller Tiere auf, soweit das möglich ist, und nun erlernten sie die geheimen Rituale und Gebete der Vorväter, mit deren Hilfe der große simbon sich für Tiere unsichtbar macht. Alles Fleisch, das jetzt verzehrt wurde, war eigene Jagdbeute, entweder erlegt mit Pfeil und Bogen oder in der Falle gefangen. Sie brauchten nur noch die halbe Zeit zum Abbalgen der Beute, das Feuer, an dem sie das Fleisch brieten, brannte fast ohne Rauch, denn sie schlugen Funken in trockenem Moos, über das ganz trockene, leichte Stöckchen gehäuft wurden. Auf den Fleischgang – manchmal kleine Buschratten – folgten meist als Nachtisch in der Glut geröstete Insekten.
    Manche der wertvollsten Lektionen wurden ihnen unversehens zuteil. So etwa verschoß während einer Pause ein Junge achtlos einen Pfeil, der unseligerweise den Stock von kurburungo- Bienen traf, die sich nun allesamt auf die Knaben stürzten; wieder hatten alle für den Fehltritt eines einzelnen zu bezahlen, denn keiner konnte schnell genug laufen, um den schmerzhaften Stichen zu entkommen. Der kintango bemerkte dazu: »Der simbon verschießt keinen Pfeil, von dem er nicht weiß, wohin er treffen wird.« Er befahl den Jungen, die Stiche mit Kariteöl einzureiben, und kündigte dann an: »Heute abend sollt ihr lernen, wie man mit solchen Bienen umgeht.« Als es dunkel wurde, hatten sie bereits Moos um den Baum mit dem Bienenstock aufgehäuft, und nachdem einer der Gehilfen das Moos angezündet hatte, warf der andere Blätter eines bestimmten Busches ins Feuer. Nun stieg dichter, erstickender Qualm davon auf, und bald regnete es tote Bienen auf die Knaben herab. Am Morgen zeigte man Kunta und dem kafo , wie man die Honigwaben von den toten Bienen reinigt, so daß man sich am Honig sättigen kann. Kunta meinte geradezu zu fühlen, wie ihm Kraft aus dem wilden Honig zuströmte. Es hieß, nichts stärkt den Jäger im Busch so schnell wie ein Bauch voll wildem Honig.
    Doch was sie auch auf sich nahmen, was sie an Wissen und Geschicklichkeit sich aneigneten, dem alten kintango war es nie genug. Seine Anforderungen waren so hoch, sein Anspruch auf Disziplin so streng, daß die Burschen meist zwischen Wut und Angst hin und her gerissen wurden, wenn sie nicht zu müde waren, überhaupt etwas zu empfinden. Führte einer einen Befehl nicht sogleich und tadellos aus, hatten alle darunter zu leiden, und wenn sie nicht gerade geprügelt wurden, riß man sie aus tiefstem Schlaf und zwang sie, einen langen Marsch anzutreten, immer als Strafe, wenn einer sich etwas zuschulden kommen ließ. Kunta und die anderen unterließen nur, einen solchen Übeltäter selber zu bestrafen, weil sie wußten, daß sie in diesem Fall wiederum Prügel beziehen würden; zu den ersten Lebensregeln, die ihnen beigebracht worden waren, längst bevor sie in den jujuo kamen, gehörte der Satz: Mandinkas schlagen einander nicht. Nach einer Weile hatten alle begriffen, daß Wohl und Wehe der Gruppe vom verantwortungsbewußten Verhalten der einzelnen abhängt, so wie Wohl und Wehe des gesamten Stammes eines Tages davon abhängen würde. Die Regeln wurden kaum mehr übertreten, und als sie weniger geprügelt wurden, empfanden die Burschen vor dem kintango nicht mehr Angst, sondern achteten ihn, wie sie ihre Väter achteten.
    Immerhin passierte eigentlich täglich irgend etwas, woran Kunta und die anderen ermessen konnten, wie unerfahren und ungeschickt sie noch waren. So lernten sie, daß man einem Stammesgenossen anzeigen kann, wie lange

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