Wurzeln
Körper, die andere, größere, sei allen gemeinsam, die vom gleichen Blute sind und ein ähnliches Leben führen. Erst wer diese Lektion begriffen habe, dürfe sich an die nächste wagen, die Ausbildung zum Krieger. »Ihr wißt schon, daß Mandinkas nur kämpfen, wenn sie dazu gezwungen werden«, sagte der kintango , »aber dann sind sie auch unübertreffliche Krieger.«
Einen halben Mond lang lernten Kunta und sein kafo , wie man Krieg führt. Der kintango oder seine Gehilfen malten den Verlauf berühmter Schlachten vor ihnen in den Staub, und sie mußten anschließend zeigen, daß sie verstanden hatten, welche Strategie jeweils angewendet worden war. Der kintango riet: »Man darf den Feind niemals vollständig einkreisen, man muß ihm immer ein Schlupfloch lassen, denn wenn er sich in der Falle sieht, kämpft er mit dem Mute der Verzweiflung.« Der Kampf, so hieß es ferner, solle möglichst am Spätnachmittag beginnen, damit diejenige Partei, die sich zurückziehen wolle, dies bei Dunkelheit tun könne, ohne das Gesicht zu verlieren. Egal um welche Art Krieg es sich handele, niemals dürfe von den Kriegführenden den reisenden marabouts , den griots oder den Schmieden ein Leid angetan werden, denn ein verärgerter marabout konnte den Zorn Allahs auf seine Bedrücker lenken; ein gekränkter griot konnte kraft seiner Redegabe den Feind zu größerer Wut anstacheln, und ein verprellter Schmied konnte dem Feind Waffen reparieren oder gar herstellen.
Die Burschen fertigten nach Anweisung der Gehilfen des kintango Pfeile und Speere mit Widerhaken, wie sie nur im Krieg benutzt werden, und richteten sie gegen immer kleinere Ziele. Wer auf fünfundzwanzig Schritt einen Bambusschaft traf, erhielt Beifall. Im Wald sammelten sie die Blätter des koona -Strauches, aus denen man einen dicken, schwarzen Absud kocht, in den wiederum Fäden getaucht werden, mit denen man Pfeilspitzen umwickelt. Sie reißen die Wunden, in die das tödliche Gift des Absuds eindringt.
Sozusagen zum Abschluß dieser Phase ihrer Ausbildung erzählte der kintango ausführlicher und aufregender, als sie es je gehört hatten, vom größten aller Kriege der Mandinka: als das Heer des sagenhaften ehemaligen Sklaven Sundiata, des Sohnes von Sogolon der Büffelfrau, das Heer des Königs Soumaoro von Boure überwand, eines Königs, der so grausam war, daß er Gewänder aus Menschenhaut trug und die Wände seines Palastes mit den Schädeln erschlagener Feinde schmückte.
Kunta hörte mit angehaltenem Atem, daß beide Heere Verwundete und Tote nach Tausenden zählten; doch die Bogenschützen der Mandinkas nahmen das Heer Soumaoros in die Zange, es regnete von allen Seiten Pfeile auf diese Unseligen, die am Ende, von Entsetzen gepackt, die Flucht ergriffen. Tage und Nächte hindurch berichteten die Trommeln aller Dörfer vom siegreichen Vordringen der mit Beute beladenen Krieger der Mandinkas, die Tausende von Feinden vor sich hertrieben. In den Dörfern jubelte man ihnen zu, knuffte und trat die Gefangenen, welche die geschorenen Köpfe gesenkt hielten und deren Hände auf den Rücken gebunden waren. Endlich berief General Sundiata eine Volksversammlung ein, an der unzählige Menschen teilnahmen. Er ließ die von ihm unterworfenen Häuptlinge vortreten, gab ihnen die Speere zurück, die ihren Rang kenntlich machten, und stiftete zwischen allen Beteiligten einen Frieden, der hundert Regen überdauerte.
Kunta und den übrigen weitete sich das Herz vor Stolz, weil auch sie zu diesem Volke gehörten, und sie gingen gedankenvoll schlafen.
Der nächste Mond brach an, und die Trommel kündigte die Ankunft weiterer Besucher im jujuo an. Nun wäre jeder Besuch den Burschen hochwillkommen gewesen, doch als sie erfuhren, daß es sich um die besten Ringer des Dorfes handelte, die den Jünglingen speziellen Unterricht erteilen sollten, war die Freude übergroß.
Am nächsten Nachmittag sagte die Trommel, die Ringer würden sogar noch früher als erwartet eintreffen, doch den Burschen verging aller Spaß, als die Ringer, kaum angelangt, auf jede Begrüßung verzichteten und sich statt dessen jeder einen Auszubildenden griffen und ihn heftiger und gröber auf den Rücken warfen, als ihnen dies je zuvor geschehen war. Das ging eine Weile so weiter, bis alle Beulen und Schrammen vorzeigen konnten. Dann mußten sie untereinander weiterüben, und die Preisringer aus dem Dorf beaufsichtigten das. Kunta lernte überrascht, daß es viel mehr Griffe gab, als er geahnt hatte,
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