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Wurzeln

Wurzeln

Titel: Wurzeln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Haley
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hinüber, die nächste folgt, und auch sie geht hinüber … einzig Allah ist in Ewigkeit …«
    Als der moro von dannen gezogen war, ging Kunta nachdenklich in seine Hütte. Es war doch sonderbar, daß vieles, ja alles, was er hier gelernt hatte, irgendwie zusammenhing. Die Vergangenheit hing an der Gegenwart, die Gegenwart reichte voraus in die Zukunft. Die Verstorbenen hingen mit den Lebenden und diese mit den Ungeborenen zusammen, er selbst mit Eltern und Geschwistern, den kafo -Kameraden, dem Dorf, dem Stamm, seinem Afrika. Die Welt der Menschen hing eng zusammen mit der der Tiere und der Pflanzen, alles lebte durch Allah. Kunta kam sich winzig vor, zugleich aber sehr groß. Daß ich so fühle, bedeutet vielleicht, daß ich ein Mann werde, dachte er.

Kapitel 25
    Nun rückte der Augenblick näher, da das geschehen sollte, woran kein Betroffener ohne Schaudern denken konnte: die kasas boyo- Operation, die den Jüngling reinigen und ihn instand setzen sollte, der Vater vieler Söhne zu werden. Man wußte, daß der Eingriff bevorstand, doch kam er überraschend. Als eines Tages die Sonne im Zenit stand, ließ einer der Gehilfen des kintango den ganzen kafo im Hof Aufstellung nehmen, wie oft und oft zuvor, und man gehorchte ihm wie gewohnt schnell und aufs Wort. Als Kunta den kintango allerdings seine Hütte verlassen und vor sie hintreten sah, erfaßte ihn Furcht, denn der kintango ließ sich mittags kaum jemals blicken.
    » Foto vorzeigen«, befahl er. Man hörte es staunend, keiner wollte seinen Ohren trauen. »Los, wird’s bald!« Man gehorchte ihm zögernd mit niedergeschlagenen Augen.
    Die Gehilfen des kintango umwickelten den foto jedes Knaben mit einem Lappen, der mit einer aus gestampften Blättern hergestellten Paste beschmiert war. »Eure fotos werden bald ganz unempfindlich sein«, sagte der kintango nur und schickte sie zurück in ihre Hütten.
    Die Knaben warteten schweigend und ängstlich, bis man sie am Nachmittag wieder herausrief. Sie sahen, daß eine Anzahl Männer aus Juffure gekommen war, Väter, Onkel, Brüder, wie schon einmal zuvor. Auch Omoro war dabei, und diesmal tat Kunta, als kenne er ihn nicht. Diese Männer also stellten sich in einer Reihe den Burschen gegenüber auf und stimmten ein Lied an, dessen Text lautete: »Dies muß geschehen … es ist auch uns geschehen … auch den Altvorderen … damit auch ihr werdet … Männer wie wir.« Danach wurden die Burschen vom kintango neuerlich in ihre Hütten beordert.
    Es dunkelte schon, als man ganz unerwartet außerhalb des jujuo viele Trommeln hörte. Die Burschen wurden wieder in den Hof befohlen und erblickten dort etwa ein Dutzend wild umherspringende kankurang- Tänzer, die mit Gebrüll durch eine Lücke im Zaun einbrachen. Sie trugen Kostüme aus Blättern und Gesichtsmasken aus Baumrinde, sie schwenkten bedrohlich ihre Speere gegen die zu Tode erschrockenen Burschen und waren ebenso plötzlich verschwunden, wie sie erschienen waren. Benommen von Furcht befolgten die Burschen den Befehl des kintango , sich nebeneinander, den Rücken am Bambuszaun, auf den Boden zu setzen.
    Wieder stimmten die unterdessen herangetretenen Männer, Onkel und Brüder einen Gesang an: »Bald kehrt ihr nach Haus zurück … auf die Felder … bald werdet ihr heiraten … aus euren Lenden wird ewiges Leben entspringen …« Einer der Gehilfen rief einen Burschen beim Namen und bedeutete ihm, hinter einen Schirm aus Bambus zu treten. Kunta konnte weder sehen noch hören, was da vorging, doch kurz darauf kam der Bursche zum Vorschein, zwischen den Beinen einen blutbesudelten Fetzen. Er taumelte und wurde vom zweiten Gehilfen an seinen Platz am Zaun zurückgeführt. Der nächste wurde aufgerufen, dann wieder einer, und schließlich hieß es: »Kunta Kinte!«
    Kunta war wie versteinert, doch zwang er sich, aufzustehen und hinter den Schirm zu treten. Hier sah er vier Männer, deren einer ihm befahl, sich auf den Rücken zu legen. Das tat Kunta gern, denn seine zitternden Knie wollten ihn ohnehin nicht mehr recht tragen. Der Mann beugte sich nun über ihn und packte fest seine Oberschenkel, und Kunta sah noch, daß der kintango sich über ihn beugte und etwas in der Hand hielt. Dann kniff er schnell die Lider zu. Gleich darauf empfand er einen brennenden Schmerz, schlimmer als befürchtet, aber weniger schlimm, als er ohne die betäubende Paste gewesen wäre. Sogleich wurde er verbunden und vom zweiten Gehilfen hinausgeführt, wo er schwach und benommen neben

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