Wurzeln
und daß sie sehr wirkungsvoll sind, wenn man sie richtig anwendet. Die Preisringer hämmerten den Jungen immer wieder ein, daß es weniger auf Muskelkraft, sondern mehr auf Geschicklichkeit und Erfahrung ankomme. Allerdings hatten sie beachtliche Muskeln aufzuweisen und zeigten sie auch, wenn sie den Burschen vorführten, was diese nachmachen sollten. Am abendlichen Feuer zählte der Trommler der Ringer von Juffure die Namen berühmter Ringer aus den vergangenen hundert Regen her, und als es für die Jungen Schlafenszeit wurde, kehrten die Ringer nach Juffure zurück.
Zwei Tage später wurde wieder Besuch angekündigt, diesmal durch einen Läufer aus Juffure, einen jungen Mann des vierten kafo , den Kunta und seine Kameraden gut kannten, der aber natürlich von ihnen keine Notiz nahm. Ohne die Burschen des dritten kafo eines Blickes zu würdigen, rannte er spornstreichs zur Hütte des kintango und berichtete dort atemlos, der in ganz Gambia berühmte griot Kujula N’jai wolle demnächst in diesem jujuo einen ganzen Tag verbringen.
Wirklich erschien er drei Tage später, begleitet von etlichen jungen Männern seiner Familie. Er war viel älter als alle griots , die Kunta bisher gesehen hatte, so alt, daß der kintango neben ihm jung wirkte. Er hieß die Burschen sich im Halbkreis um ihn setzen und erzählte ihnen alsdann, wie er zu seinem Ruf gekommen war. Jeder griot , so sagte er, präge sich schon in jungen Jahren alle Einzelheiten der Lebensgeschichte der Vorfahren ein. »Wie sonst wüßten wir heute noch von den alten Königen, den heiligen Männern, den großen Jägern und Kriegern, die vor Hunderten von Regen gelebt haben? Kennen wir sie denn selber? Nein! Die Geschichte unseres Volkes wird hier aufbewahrt«, er tippte sich an die Stirn, »und von hier an den nächsten weitergegeben.«
Der griot antwortete auch gleich auf die unausgesprochene Frage der Zuhörer: griot konnte nur werden, wer Sohn eines griot war, ja, es war geradezu die Pflicht der Söhne eines griot , ebenfalls griot zu werden. Nach Absolvierung der Mannbarkeitsrituale schlossen die Söhne sich ausgewählten Ältesten an, begleiteten sie überallhin und vernahmen von ihnen wieder und wieder die Erzählungen und die Namen, die überliefert worden waren. Er selber werde jetzt, wie sie sehen könnten, von mehreren Enkelsöhnen begleitet. Mit der Zeit prägten die jungen Leute sich alle Einzelheiten der Geschichte dieser Vorfahren ein und wußten alle Einzelheiten, wie sie von Generation zu Generation weitergegeben worden waren. Diese jungen Leute gaben den gesammelten Schatz der Überlieferung sodann ihrerseits an die eigenen Söhne weiter, und auf diese Weise war dafür gesorgt, daß die Vergangenheit am Leben blieb.
Die Burschen verschlangen ungeduldig ihre Abendmahlzeit und versammelten sich eilig wieder um den griot , der bis in die späte Nacht mit erregenden Berichten aus der Vergangenheit aufwartete, die er von seinem eigenen Vater gehört hatte. Er erzählte von afrikanischen Großreichen, die vor vielen hundert Regen bestanden hatten.
Der alte griot sagte: »Längst bevor der toubob auch nur einen Fuß nach Afrika gesetzt hat, gab es hier schon das Reich Benin, über welches der allmächtige König Oba herrschte, dem jeder Wunsch unverzüglich erfüllt wurde. In Wahrheit regierten seine Ratgeber, denen der König vertraute, denn er selber hatte genug damit zu tun, die bösen Geister durch das Darbringen von Opfern zu versöhnen und sich seinen mehr als hundert Frauen zu widmen. Schon vor dem Reich Benin hat es ein noch mächtigeres Reich gegeben, Songhai genannt. Dessen Hauptstadt hieß Gao, und hier gab es viele prächtige Häuser, bewohnt von schwarzen Fürsten und reichen Kaufleuten, die reisende Händler zu luxuriösen Gelagen luden, denn die kamen mit viel Gold, um hier Ware zu kaufen.
Und das war immer noch nicht das reichste unserer Länder, sondern das reichste aller unserer Länder war Ghana, dessen Hofstaat eine ganze Stadt füllte. Der König Kanissaai von Ghana besaß tausend Pferde, deren jedes drei Diener und ein eigenes Urinal aus Kupfer hatte.« Kunta traute seinen Ohren nicht. »Wenn der König abends aus seinem Palast trat, wurden tausend Feuer angezündet, welche bis an den Horizont Licht verbreiteten. Die Diener des Königs schafften sodann genug Speisen herbei, um die Zehntausende zu bewirten, die sich da jeden Abend einfanden.«
Der griot machte eine Pause, und die Burschen konnten staunende Ausrufe nicht
Weitere Kostenlose Bücher