Wurzeln
denen sitzen blieb, die bereits hinter dem Schirm gewesen waren. Sie wagten nicht, einander anzublicken, doch das, was alle am meisten gefürchtet hatten, war nun überstanden.
In dem Maße, wie die fotos heilten, gerieten die Burschen in eine freudige Stimmung, denn endlich hatte man jenes Stadium hinter sich gelassen, da man sowohl geistig als körperlich für nichts weiter als einen Knaben gegolten hatte. Jetzt waren sie beinahe schon Männer, und ihre Dankbarkeit und Ehrfurcht gegenüber dem kintango kannte keine Grenzen. Er selber betrachtete nun ebenfalls Kuntas kafo mit anderen Augen, ja, dieser runzlige Älteste, den sie immer mehr in ihre Herzen geschlossen hatten, lächelte sogar hin und wieder! Und ganz beiläufig ließen er oder seine Gehilfen wohl auch die Anrede »Männer …« einfließen, wenn sie den kafo meinten. Kunta und den Kameraden kam das fast zu schön vor, sie konnten es kaum glauben.
Nun brach der vierte Mond an, und auf Befehl des kintango schlichen sich jede Nacht einige seiner Schützlinge heimlich nach Juffure hinein, glitten wie die Schatten in die Vorratsspeicher der mütterlichen Hütte und stahlen an Trockenfleisch, Mais und Hirse, was sie nur erwischen und tragen konnten. Damit kehrten sie noch in derselben Nacht zum jujuo zurück, und tags darauf wurde die Beute dort mit Vergnügen verzehrt, bewies sie doch, »daß wir schlauer sind als alle Frauen, auch als die eigene Mutter«, wie der kintango dazu bemerkte. Die bestohlenen Mütter prahlten selbstverständlich tags darauf im Dorf damit, daß sie ihre Sprößlinge sehr wohl gehört hatten.
Im jujuo war unterdessen eine neue Stimmung eingezogen. Zwar versammelte man sich allabendlich im Kreis um den kintango , doch dieser war nun weniger streng, er behandelte sie nicht mehr wie dumme Jungen, sondern wie junge Männer seines Dorfes. Hin und wieder wies er sie auf die eigentlichen Qualitäten ihrer neuerworbenen Männlichkeit hin. Zuoberst stand für ihn Furchtlosigkeit, gefolgt von unbedingter Ehrlichkeit. Dann wieder sprach er zu ihnen von den Vorfahren. Die Lebenden schuldeten denen, die bei Allah ruhten, stets größte Ehrfurcht, sagte er. Und er fragte einen jeden, an welchen seiner Vorfahren er sich am besten erinnere. Kunta nannte seine Großmutter Yaisa, und der kintango sagte, alle von den jungen Männern genannten Ahnen verwendeten sich bei Allah zugunsten ihrer Nachfahren.
Er erklärte ihnen, daß jeder einzelne Bewohner ihres Dorfes für das Dorf von Wert sei, die neugeborenen Kinder ebenso wie die Alten. Sie als neugebackene Jungmänner müßten lernen, jedem mit dem gehörigen Respekt zu begegnen, und das Wohl aller Männer, Frauen und Kinder von Juffure müsse ihnen ebensosehr am Herzen liegen wie das eigene. Dies insbesondere sei ihre Pflicht.
»Wenn wir wieder in Juffure sind, werdet ihr fortan dem Dorf als Augen und Ohren dienen. Ihr werdet über das Dorf wachen, werdet nach toubobs und anderen Wilden Ausschau halten, werdet die Felder vor Räubern beschützen. Auch ist es eure Aufgabe, die Kochtöpfe der Frauen zu inspizieren, die eurer Mütter nicht ausgenommen, und darauf zu achten, daß sie stets sauber sind. Findet ihr Schmutz oder Ungeziefer darin, müßt ihr sie streng vermahnen.« Die jungen Männer konnten es danach kaum abwarten, ihre neue Aufgabe zu übernehmen.
Zwar konnten sich nur die ältesten von ihnen ausmalen, was sie als Angehörige des vierten kafo erwartete, doch wußten sie, daß sie als Männer von fünfzehn bis neunzehn die wichtige Aufgabe übernehmen würden, Botschaften zwischen Juffure und anderen Dörfern hin und her zu tragen – so wie der Läufer, der den Besuch des moro angekündigt hatte. Kuntas kafo konnte sich das nicht vorstellen, doch ebenjene, die alt genug waren, solche Botendienste zu verrichten, sehnten sich danach, endlich, mit zwanzig Jahren, in den fünften kafo aufgenommen zu werden und wirklich wichtige Pflichten zu übernehmen, nämlich als Gehilfen der Ältesten bei allen Verhandlungen und Geschäften mit anderen Dörfern zu dienen. Männer im Alter von Omoro gewannen von Regen zu Regen an Bedeutung und Statur, bis auch sie alt genug waren, den angesehenen Status der Ältesten zu beanspruchen. Kunta war stolz darauf gewesen, seinen Vater wenigstens in der Nähe der Ältesten sitzen zu sehen, und freute sich bereits auf den Tag, da Omoro zum innersten Kreis gehören würde, zu denen also, die eines Tages das Amt einer bedeutenden Persönlichkeit, wie der
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