Wurzeln
kintango eine war, übernehmen würden, sollte dieser zu Allah abberufen werden.
Es fiel Kunta und seinen Kameraden zunehmend schwer, dem kintango mit der gebotenen Aufmerksamkeit zuzuhören. Es kam ihnen unglaubhaft vor, daß in den vergangenen vier Monden so vieles geschehen war, daß sie wirklich im Begriff sein sollten, Männer zu werden. Die letzten Tage wurden ihnen länger als die Monde davor. Endlich – der vierte Mond stand hell und voll am Himmel – riefen die beiden Gehilfen den kafo nach dem Abendessen auf dem Hof zusammen.
War dies der lang erwartete Augenblick? Kunta sah sich nach Vätern und Brüdern um, die gewiß bei dieser Feier nicht fehlen würden, doch war keiner von ihnen zu sehen. Und wo steckte überhaupt der kintango ? Kuntas suchender Blick entdeckte ihn endlich am Tor im Zaun des jujuo , das er soeben öffnete, wobei er rief: »Männer von Juffure! Kehrt in euer Dorf zurück.«
Einen Moment standen sie wie angewurzelt, dann stürzten sie sich jubelnd auf ihren kintango und seine Gehilfen und umarmten diese, die so taten, als seien sie von solcher Zudringlichkeit entsetzt. Als vier Monde zuvor Kuntas Kapuze hier an ebendieser Stelle gelüftet worden war, hätte er sich nicht vorstellen können, daß er einmal mit Bedauern von diesem Ort Abschied nehmen und daß er Liebe für den strengen alten Mann empfinden könnte, der damals vor ihm stand, und doch war es jetzt so. Dann aber gingen seine Gedanken heimwärts, und er rannte gemeinsam mit den anderen lärmend zum Tor hinaus, den Pfad nach Juffure hinunter. Bald aber verstummten sie, ihr Schritt verlangsamte sich, denn jeder bedachte auf seine Weise das gleiche: was hinter ihnen lag, und was jetzt auf sie wartete. Diesmal bedurften sie nicht der Sterne, um den Weg zu finden.
Kapitel 26
Als Kuntas kafo samt jenen, die während ihrer Abwesenheit im jujuo fünfzehn geworden waren und nun zum vierten kafo zählten, bei Tagesanbruch ins Dorf marschierte, wurden sie mit dem Freudengeschrei der Frauen, mit Lachen und Tanz empfangen. Die jungen Männer gingen gemessenen und, wie sie hofften, würdigen Schrittes und verzogen vorerst keine Miene. Als Kunta seine Mutter sah, wäre er ihr gern entgegengelaufen, und er konnte es sich nicht verkneifen, ihr strahlend zuzulächeln, doch hielt er sich dazu an, gemessenen Schrittes weiterzugehen. Da aber hatte sie schon die Arme um ihn geschlungen, sie jauchzte und weinte in einem und flüsterte Kosenamen in sein Ohr. Kunta ließ dies geschehen, wich dann aber zurück, denn er war jetzt ein Mann. Immerhin tat er, als geschehe dies nur zu dem Zweck, das Bündel besser betrachten zu können, das sie in der Schlinge auf dem Rücken trug und aus dem es heftig jaulte. Er griff hinein und hob das Kleine ans Licht.
»Das also ist mein Bruder Madi!« rief er entzückt und hob den Kleinen hoch in die Luft.
Binta strahlte, als sie neben ihm zu ihrer Hütte ging, der das Kleine im Arm hielt, ihm Gesichter schnitt, selber Babylaute ausstieß und es in seine Bäckchen kniff. Kunta war aber nicht so in Anspruch genommen von seinem jüngsten Bruder, daß ihm die Kinderhorde entgangen wäre, die ihm splitternackt mit weit aufgerissenen Augen und Mündern folgte. Zwei klammerten sich an seine Knie, andere drängten sich zwischen seine Mutter und andere Frauen, die laut bemerkten, wie stark und gesund Kunta aussehe und wie männlich er geworden sei. Er tat, als hörte er das alles nicht, doch war es Musik in seinen Ohren.
Kunta fragte sich, wo Omoro sein, wo Lamin stecken mochte, doch gleich fiel ihm ein, daß Lamin gewiß Ziegen hütete. Er ließ sich in Bintas Hütte auf einen Schemel nieder und bemerkte jetzt erst, daß eines der größeren Kinder vom ersten kafo ihm gefolgt war und sich jetzt an Bintas Rock hängte. »Guten Tag, Kunta«, sagte der Knirps, und da erst erkannte Kunta seinen Bruder Suwadu! Er traute seinen Augen nicht. Suwadu war, als Kunta nach dem jujuo mußte, nichts weiter gewesen als ein Hindernis, über das man stolperte, und Kunta hatte ihn nur zur Kenntnis genommen, wenn er plärrte. Nun aber, innerhalb von nur vier Monden, schien er mächtig gewachsen, er konnte auch schon sprechen, kurz, er war jemand. Kunta reichte das Baby seiner Mutter, packte Suwadu und warf ihn hoch unter das Dach der Hütte, daß der Kleine vor Wonne juchzte.
Als Suwadu endlich hinauslief, um die anderen frischgebackenen Männer zu besichtigen, wurde es still in der Hütte. Binta war glücklich und zufrieden, sie
Weitere Kostenlose Bücher