Wurzeln
Geschenk, Kunta wußte aber, daß sie ihn recht gut verstanden hatte. Er war kein Knabe mehr, und sie hatte endlich zu begreifen, daß sie ihn nicht mehr bemuttern durfte. Er meinte, er selber müsse ihr das endlich einmal klarmachen. Omoro konnte er darum nicht bitten; es wäre lächerlich gewesen, ihn zu fragen, wie er es anstellen solle, daß die Mutter ihn als Mann ebenso respektiere, wie sie Omoro respektierte. Er gab auch den Plan auf, Nyo Boto um Rat zu fragen, denn er hatte nicht vergessen, wie sonderbar sie ihn behandelt hatte, als er aus dem jujuo zurückgekommen war.
Kunta handelte also nach seinem eigenen Instinkt, und er beschloß, künftig nicht mehr Bintas Hütte zu betreten, in der er seine Kindheit verbracht hatte. Wenn sie ihm seine Mahlzeiten brachte, saß er stocksteif auf dem Schemel, während sie das Essen vor ihn stellte, ohne etwas zu sagen und ohne ihn anzusehen. Schließlich überlegte er, ob er nicht überhaupt eine andere Regelung treffen solle. Die meisten seiner kafo -Kameraden aßen noch bei ihren Müttern, einige aber ließen sich von Schwestern oder Schwägerinnen versorgen. Sollte Binta die Dinge auf die Spitze treiben, wollte er Ausschau halten nach einer Frau, die für ihn kochte – möglicherweise jene Witwe, die ihm den Korb geschenkt hatte? Er wußte, daß sie dies nur allzugern tun würde, doch noch wollte er sie nicht merken lassen, daß er derartiges in Erwägung zog.
Unterdessen brachte die Mutter wie gewohnt seine Mahlzeiten, und beide taten dabei, als wäre der andere nicht vorhanden.
Eines Morgens, nach einer Nacht auf Posten, erblickte Kunta drei fremde junge Männer in einiger Entfernung auf seinem Pfad, die irgendwohin unterwegs waren. Sie waren etwa in seinem Alter. Er rief sie an und holte sie ein. Sie kamen aus Barra, einem anderthalb Tagereisen entfernten Dorf, und waren auf der Suche nach Gold. Sie gehörten zum Stamm der Feloop, waren also mit den Mandinka verwandt, Kunta verstand sie aber nur mit Mühe. Ihm fiel ein, daß er auch im Dorf der Onkel Leute getroffen hatte, mit denen er sich kaum verständigen konnte, obwohl sie nicht weit von Juffure lebten.
Was er von den jungen Leuten hörte, interessierte Kunta ungemein, und er bat sie, einen Tag die Gastfreundschaft von Juffure anzunehmen und sich mit ihm und einigen Freunden zu besprechen. Dies lehnten sie aber höflich ab mit der Begründung, sie müßten am dritten Reisetag den Ort erreichen, wo das Gold gewaschen wurde. »Aber du kannst doch mit uns kommen, wenn du magst«, sagte einer der drei zu Kunta.
Kunta war davon so überrascht, daß er ganz mechanisch ablehnte; er habe alle Hände voll zu tun, auf dem Feld und überhaupt. Die drei jungen Männer bedauerten das und meinten: »Falls du es dir anders überlegst, kannst du ja nachkommen.« Und sie knieten hin und zeichneten den Weg zu dem Ort des Goldfundes in den Staub des Pfades. Es war zwei Tageswanderungen von Juffure entfernt. Ihre Kenntnis hatten sie vom Vater eines der jungen Männer, der ein wandernder Musikant war.
Kunta begleitete seine neuen Bekannten bis zur Weggabelung, wo sie den Pfad einschlugen, der an Juffure vorbeiführte. Sie winkten ihm noch einmal zu, und Kunta ging gedankenvoll heim. Er legte sich, wie immer nach durchwachter Nacht, sogleich hin, fand aber keinen Schlaf. Er könnte vielleicht auch Gold waschen gehen, vorausgesetzt, es fand sich jemand, der für ihn sein Stück Feld bearbeitete. Seine Postenpflicht würde schon einer der Kameraden übernehmen, wie er selber es in einem solchen Fall auch für jemand anderen tun würde.
Dann kam ihm ein Gedanke, der ihn durchfuhr wie ein Blitz: Er war jetzt ein Mann, folglich konnte er Lamin auf einen solchen Ausflug mitnehmen, wie sein Vater ehemals ihn, Kunta, mitgenommen hatte. Kunta ging während der folgenden Stunde nachdenklich in seiner Hütte auf und ab und bedachte alles, was es in diesem Zusammenhang zu bedenken gab. Zunächst einmal: Würde Omoro seine Erlaubnis geben? Lamin war noch ein Knabe, ohne Erlaubnis seines Vaters durfte er nichts Derartiges unternehmen. Kunta ärgerte sich darüber, daß er, der schließlich selbst ein Mann war, eigens um Erlaubnis würde bitten müssen. Angenommen, Omoro sagte nein? Und was würden diese drei neuen Bekannten denken, wenn er seinen kleinen Bruder mitbrachte?
Warum übrigens zerbrach er sich hier den Kopf und erwog ernstlich Scherereien, bloß um Lamin einen Gefallen zu tun? Seit er aus dem jujuo zurück war, bestand
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