Wurzeln
Lehmhütte, und die Mütter bereiteten die leckersten Speisen, um bei den Gästen Ehre einzulegen.
Am Hochzeitstag war der Lärm der Erwachsenen, der Kinder, Ziegen, Hühner, Hunde, Papageien und Affen so groß, daß er noch den der gemieteten Musikanten übertönte. Als die Braut mit ihrem Geleit eintraf, wußte der Hochzeitsredner sich nicht genug zu tun darüber, daß zwei so würdige Familien sich miteinander verbinden wollten, und der Lärm erreichte den Höhepunkt, als die Braut von ihrer besten Freundin in Kuntas Hütte geschubst wurde. Kunta winkte den Hochzeitsgästen strahlend zu, folgte seiner Braut in die Hütte und zog den Vorhang vor den Eingang. Als sie sich auf sein Lager gesetzt hatte, sang er ihr das berühmte traditionelle Liebeslied vor: »Mandumbe, dein Schwanenhals ist wunderschön …« Dann legten sie sich auf weichgegerbte Häute, sie küßte ihn zärtlich, und sie hielten sich fest umschlungen. Und dann fand statt, was Kunta sich nach dem, was er gehört hatte, vorstellte. Es war sogar noch angenehmer, als man ihm beschrieben hatte, es nahm zu und zu und plötzlich – zerbarst er.
Kunta erwachte und blieb reglos liegen. Was war geschehen? Er tastete an seinem Körper entlang und spürte die Nässe auf seinem Bauch. Erschreckt sprang er auf, suchte einen Fetzen, trocknete sich ab und auch sein Lager. Als er dann im Dunkeln saß, wich sein Schreck erst der Verlegenheit, dann der Scham, diese der Freude, und schließlich empfand er geradezu Stolz. Ob das seinen Kameraden wohl ebenfalls passiert war? Einerseits wäre ihm das recht gewesen, andererseits wieder nicht, denn wenn dies ein Beweis für Männlichkeit gewesen sein sollte, hätte er ihn gern als erster erbracht gehabt. Allerdings würde er das niemals erfahren, denn solch ein Erlebnis, ja auch die Vorstellungen, von denen es begleitet war, ließen sich mit niemandem teilen. Darüber sprach man nicht. Schließlich legte er sich matt, aber wohlig nieder und fiel bald in einen sanften traumlosen Schlaf.
Kapitel 28
Nun kenne ich, so sagte Kunta sich, als er eines Tages auf dem Feld seine Mahlzeit verzehrte, in Juffure jeden Mann, jede Frau, jedes Kind, jeden Hund und jede Ziege, und ich sehe so gut wie jeden alle Tage. Warum fühle ich mich nur so allein? Bin ich denn eine Waise? Habe ich nicht einen Vater, der mich behandelt wie ein Mann den anderen? Habe ich nicht eine Mutter, die ihre Pflichten gegen mich erfüllt? Sehen nicht meine Brüder zu mir auf? Bin ich, der junge Mann, nicht ihr Idol? Habe ich nicht alle zu Freunden, mit denen ich als Kind im Dreck spielte, mit denen ich die Ziegen hütete und die mit mir im jujuo waren? Achten mich nicht die Älteren, und beneiden mich nicht die Gleichaltrigen darum, daß ich schon vor dem sechzehnten Geburtstag sieben Ziegen, drei Hühner und eine prächtig eingerichtete Hütte besitze – alles das Ergebnis meiner tüchtigen Feldarbeit? Das ließ sich alles nicht bestreiten. Und doch fühlte er sich einsam. Omoro war dauernd beschäftigt, er hatte für Kunta jetzt weniger Zeit als vor Jahren, da er nur diesen einzigen Sohn gehabt, dafür aber weniger Verantwortung für das Gemeinwesen zu tragen hatte. Auch Binta war ständig tätig, sie mußte für Kuntas drei Brüder sorgen, und ohnedies hatten die beiden einander wenig zu sagen. Selbst zwischen Kunta und Lamin herrschte kein enges Einverständnis mehr; während Kunta im jujuo gewesen war, hatte Suwadu sich an Lamin gehängt, wie vormals Lamin sich an Kunta gehängt hatte, und Kunta sah mit gemischten Gefühlen, wie Lamins Einstellung zu dem kleineren Bruder sich veränderte: Gereiztheit wurde zu Duldsamkeit und diese zu Zuneigung. Bald waren die beiden unzertrennlich, und für Kunta blieb ebensowenig Platz wie für Madi, der zu klein war, um sich ihnen anzuschließen, aber groß genug, um zu plärren, weil sie ihn ausschlossen. Selbstverständlich befahl Binta den beiden häufig, den Kleinen mitzunehmen, um Ruhe im Haus zu haben, und wenn Kunta seine Brüder durchs Dorf ziehen sah, im Gänsemarsch und nach dem Alter geordnet, die beiden größeren mißmutig, der Kleinste dafür aber um so glücklicher, obwohl er laufen mußte, um den Anschluß nicht zu verlieren, dann mußte er gegen seinen Willen schmunzeln.
Hinter Kunta ging jetzt niemand mehr, und neben ihm nur selten einer, denn seine kafo -Kameraden hatten entweder ihren Pflichten nachzukommen, oder sie grübelten ebenso wie Kunta darüber nach, wie seltsam es doch war, daß ihr
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