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Wurzeln

Wurzeln

Titel: Wurzeln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Haley
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    Bei Tagesanbruch hatte sich das Wetter beruhigt, der Kahn schwankte aber immer noch stark. Von den an Deck ausgelegten Gefangenen gaben manche kaum noch Lebenszeichen; andere wurden von schrecklichen Krämpfen geschüttelt. Kunta, wie den meisten anderen, war es gelungen, sich aufzusetzen,“ was die Schmerzen im Rücken und im Gesäß etwas milderte. Mit stumpfem Blick betrachtete er seine Nachbarn; unter altem Schorf quoll frisches Blut hervor, an Schultern und Ellenbogen sah man blanke Knochen. Etwas entfernt sah er eine Frau mit gespreizten Beinen daliegen; ihre ihm zugekehrten Geschlechtsteile waren mit einer merkwürdigen graugelben Paste beschmiert, und ein unbeschreiblicher Geruch ging von ihr aus.
    Nun versuchten die noch liegenden Männer sich aufzurichten. Manche sanken wieder um. Zu denen, die es schafften, gehörte der Foulah-Führer. Er blutete stark, und sein Gesichtsausdruck ließ auf völlige Teilnahmslosigkeit schließen. Kunta erkannte viele Männer nicht, er nahm daher an, daß sie aus dem unteren Laderaum kamen. Von denen also hatte der Foulah gesagt, sie würden diejenigen rächen, die beim Überfall auf die toubobs den Tod fänden. Der Überfall – Kunta hatte nicht die Kraft, auch nur daran zu denken.
    Auf manchen Gesichtern in seiner Nähe – das seines Kettengenossen zählte dazu – sah Kunta den Tod geschrieben. Ohne zu wissen warum, war er sicher, daß sie sterben würden. Das Gesicht des Wolof war grau, und wenn er keuchend Atem holte, entstand ein rasselndes Geräusch. Selbst die Schultern des Wolof und die durch das rohe Fleisch schimmernden Ellenbogenknochen sahen grau aus. Als hätte er gespürt, daß Kunta ihn ansah, klappte der Wolof flatternd die Lider auf und erwiderte Kuntas Blick – doch ohne ein Zeichen des Erkennens. Er war ein Heide, nun ja … Kunta streckte einen Finger aus und berührte den Wolof sacht am Arm. Es blieb ungewiß, ob der Wolof die Geste wahrgenommen hatte, ob sie ihm etwas bedeutete.
    Ließen seine Schmerzen auch nicht nach, so empfand Kunta die warme Sonne doch als wohltuend. Das Blut, das von seinem Rücken geflossen war, bildete eine Lache um ihn her, und bei diesem Anblick packte ihn neuerlich der Jammer. Toubobs , nun ebenfalls krank und schwach, taumelten mit Besen und Eimern umher, schrubbten Erbrochenes und Fäkalien fort, schleppten Kübel mit Unrat von unten heraus und leerten sie ins Meer. Kunta fiel auf, wie bleich und behaart ihre Haut war und wie klein ihre fotos.
    Eingehüllt in eine Dampfwolke von kochendem Essig und Teer, inspizierte der weißhaarige toubob von neuem seine Gefangenen. Wo die blanken Knochen hervorschauten, streute er Pulver auf, das vom sickernden Blut bald weggespült wurde. Einigen, darunter Kunta, flößte er gewaltsam etwas aus einer schwarzen Flasche ein.
    Bei Sonnenuntergang bekamen diejenigen, die dazu in der Lage waren, zu essen – Mais, in rotem Palmöl gekocht, mit den Fingern aus dem Napf zu klauben; jeder einen Schöpflöffel Wasser aus dem Faß am Fuß des größten Pfahls. Als die Sterne hervorkamen, lagen sie schon wieder unten in Ketten. Die in Kuntas Laderaum frei gewordenen Plätze nahmen jetzt die schwächsten Männer aus dem unteren Laderaum ein, und das Stöhnen und Jammern war lauter denn je zuvor.
    Drei Tage wurde Kunta von Schmerz, Brechreiz und Fieber gepeinigt und schrie im Chor der Gefolterten. Er wurde jetzt auch von schweren Hustenanfällen gequält, und er war nicht der einzige. Sein Hals war heiß und geschwollen, sein Körper troff von Schweiß. Nur einmal wurde er ganz wach, nämlich, als er die Schnurrhaare einer Ratte an seiner Hüfte spürte. Ganz instinktiv packte seine freie Hand das Tier, und er fühlte überrascht, daß aller Zorn, der sich in ihm angesammelt hatte, in diese Hand strömte. Immer fester drückte er zu. Die Ratte zappelte und quiekte wild, und Kunta fühlte, wie die kleinen Augen hervortraten und ihr Schädel unter seinem Daumen knackte. Da erst erschlaffte seine Hand, die Finger lockerten den Griff und ließen das tote Vieh los.
    Seit neuestem kam der weißhaarige toubob selber in den dunklen Laderaum und entdeckte jedesmal wenigstens einen weiteren Toten, der dann losgekettet wurde. Der Gestank nahm auch ihm die Luft. Man leuchtete ihm, während er Salbe auftrug, Pulver streute und den Überlebenden den Hals seiner schwarzen Flasche in den Mund schob. Kunta konnte nur mit Mühe das Schreien unterdrücken, wenn er die Finger mit Salbe oder die Flasche, an den

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