Wurzeln
waren, und daran, wie sie sich angewidert das Blut abwischten, das dabei auf sie spritzte. Er stellte sich zähneknirschend vor, wie sie nachts den Frauen Gewalt antaten; er glaubte, die Frauen schreien zu hören. Hatten die toubobs denn keine eigenen Frauen? Warum stellten sie wie Hunde den Frauen anderer nach? Nichts schien ihnen heilig; sie hatten offenbar keine Götter, nicht einmal Geister, zu denen sie beteten.
Das einzige, was Kunta von den toubobs und seinen Racheplänen abzulenken vermochte, waren die Ratten, die mit jedem Tag frecher wurden. Ihre Barthaare kitzelten ihn zwischen den Beinen, wenn sie nach einer blutenden oder eiternden Schwäre suchten. Die Läuse hielten sich mehr an sein Gesicht, saugten die Flüssigkeit in Kuntas Augenwinkeln oder den Rotz auf, der ihm aus der Nase lief. Er krümmte und wand sich, er zerdrückte alle Läuse, die er zwischen die Finger bekam. Aber schlimmer als Läuse und Ratten war, daß Schultern, Ellenbogen und Hüften vom ständigen Scheuern am harten Pritschenholz wie Feuer brannten. Auch andere waren an diesen Stellen wund, wie er auf Deck beobachtet hatte, und wenn sie durch heftiges Rollen des Kahnes hin und her geworfen wurden, schrien sie allesamt vor Schmerzen.
Kunta beobachtete, daß manche Männer an Deck wirkten, als wären sie in Trance. Man sah ihnen an, daß sie nichts mehr fürchteten, weil es ihnen gleich war, ob sie weiterlebten oder nicht. Selbst unter den Peitschenhieben der toubobs reagierten sie nur langsam. Manche waren so geschwächt, daß sie keinen Versuch machten, in den Ketten zu tanzen, und der weißhaarige toubob ordnete besorgt an, sie ausruhen zu lassen. Da hockten sie denn, die Köpfe zwischen den Knien, und die dünne rötliche Wundflüssigkeit lief ihnen von geschundenen Rücken hinunter. Der Weißhaarige stopfte ihnen etwas Weißes in den Mund, das sie jedoch meist erbrachen. Manche fielen kraftlos zur Seite, konnten sich nicht mehr bewegen und wurden von toubobs in den dunklen Laderaum getragen. Noch bevor diese Männer starben, wußte Kunta, daß sie sterben wollten.
Der Anweisung des Foulah folgend, versuchten Kunta und viele andere, lustig zu tanzen, wenn ihnen die Verstellung auch wie ein Geschwür in der Seele brannte. Immerhin gab es weniger Peitschenhiebe, wenn die toubobs guter Laune waren, und sie durften länger als früher oben bleiben. Waren das Übergießen mit Meerwasser und das Abschrubben mit der Bürste überstanden, hockten Kunta und die anderen sich nieder und verfolgten alle Bewegungen der toubobs genau: wie sie sich längs des Zauns verteilten, wie sie ihre Waffen so dicht an sich hielten, daß man sie ihnen nicht hätte entreißen können. Keinem Angeketteten entging, wenn ein toubob einmal für kurze Zeit seiner Eisenstock an den Zaun lehnte. Kunta beäugte immer wieder die große eiserne Röhre, die durch die Barrikade ragte. Er wußte, daß diese Waffe unter welchen Opfern auch immer erobert werden mußte, denn wenn sie nicht schreckliche Verheerung anrichten würde, hätten die toubobs sie nicht dort aufgebaut.
Sorgen machten ihm auch die toubobs , die immer an dem großen Rad drehten, ein wenig hierhin, ein wenig dorthin, und dabei auf ein rundes bräunliches Ding aus Eisen blickten. Der alcala sprach diesen Gedanken einmal im Laderaum aus: »Wenn die toubobs getötet sind, wer steuert dann diesen Kahn?« Der Foulah versetzte, man müsse diese toubobs am Leben lassen. »Mit Speerspitzen am Hals«, sagte er, »werden sie uns in unser Land zurückbringen, oder sie werden sterben.« Die bloße Vorstellung, daß er seine Heimat wiedersehen könnte, ließ Kunta erbeben. Doch selbst wenn das geschehen sollte, würde er wohl sehr alt werden müssen, bis er auch nur einiges von dem vergaß, was die toubobs ihm angetan hatten.
Und noch eine Befürchtung plagte Kunta: Es könnte den toubobs doch auffallen, wie anders die Männer in ihren Ketten jetzt auf dem Deck tanzten. Sie konnten nämlich nicht verhindern, daß ihre Bewegungen verrieten, was sie sich beim Tanzen ausmalten: das schnelle Abwerfen von Fesseln und Ketten, das Schlagen, Stoßen, Würgen, Töten. Beim Tanz knurrten sie mordlustig in Gedanken an das Gemetzel. Doch wenn der Tanz vorüber war und er wieder zu sich kam, sah Kunta erleichtert, daß die toubobs nur fröhlich grinsten.
Eines Tages wurde die Aufmerksamkeit der Gefangenen und ihrer Bewacher völlig von einem riesigen Schwarm fliegender Fische in Anspruch genommen, die die Luft mit
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